Königsjagd
soll«, befahl Paul ihm. »Und dann nichts wie weg hier.«
Henri öffnete die Tür zum Fahrerhaus, zog die Sitzbank vor und holte die Verkleidung dahinter heraus. Eine niedrige Luke wurde sichtbar; er griff hinein und knipste eine Lampe an.
»Gemütlich wie daheim: Matratze, Thermosflasche mit Kaffee, Schinkenbrote. Hoffentlich sind Sie nicht zu jüdisch, um sie zu essen, aber etwas anderes gibt's nicht; wir haben erst vor einer Stunde erfahren, daß wir Sie mitnehmen. Entschuldigen Sie die Schachteln. Ein paar Kleinigkeiten für den schwarzen Markt in Paris.«
»Es geht sehr gut«, entgegnete sie.
»Zwanzig Stunden«, sagte Paul Dubois. »Wir wechseln uns am Steuer ab.«
Hanna wandte sich zu Max, der die Walther aus der Tasche nahm und sie ihr reichte. »Du wirst sie brauchen.« Henri sagte: »Trauen Sie uns nicht?«
»Nicht unbedingt«, sagte Max. »Sie hat schon mehr als einen umgelegt. Sie wird nicht zögern, wenn es sein muß.« Er gab Hanna einen Kuß auf die Stirn. »Wenn du am Ziel bist, geh sofort zu dem Mann selbst - laß dich auf keinen Fall abwimmeln.«
»Ich werde dich nicht enttäuschen.«
»Ich weiß, Kleines. Alles Gute. Paß auf dich auf.«
Sie weinte jetzt, als wüßte sie instinktiv, daß sie ihn nicht wiedersehen würde. Sie krabbelte durch die Luke in den sargähnlichen Raum im Tank. Sie warf noch einen letzten Blick auf ihn, ehe Henri die Verkleidung wieder vorschob. Sie legte sich auf die Matratze und blickte sich um, und dann sprang der Motor an, und der Tankwagen rollte langsam los.
7
Als Irene Neumann die Mahlzeit beendet hatte, die ihr auf dem beinahe gemütlichen Zimmer serviert worden war, in das man sie nach dem heißen Bad gebracht hatte, war es zehn Uhr. Die grauhaarige Frau, die sich um sie gekümmert hatte, war richtig fürsorglich gewesen. »Die haben sicher einen Fehler gemacht, Kind«, sagte sie. »So etwas kommt vor.«
Das Essen war ausgezeichnet gewesen, und Irene hatte es, in einen warmen Bademantel gewickelt, trotz der Tatsache genossen, daß sie am Rücken und auf dem Gesäß überall blaue Striemen hatte, die furchtbar schmerzten, so daß sie kaum sitzen konnte.
Gebratenes Hähnchen, Kartoffeln, Bohnenkaffee und ein Kognak zum Abschluß. Sie war langsam wieder zum Leben erwacht. Doch dann wurde die Tür plötzlich aufgetreten, und Berg kam mit zwei SS-Männern herein, die sie brutal packten und auf den Korridor hinausstießen. Berg riß ihren Kopf an den Haaren zurück, so daß sie zu Heydrich aufblickte. »O nein«, sagte er, »nicht sie. Jetzt ist die Person nebenan an der Reihe.« Sie schleppten sie zur nächsten Zelle, und er öffnete den Durchguck, so daß sie hineinschauen konnte. Auf der Pritsche saß eine alte weißhaarige Frau.
»Gerda Neumann, ihre Mutter, soviel ich weiß, einundsiebzig Jahre alt«, sagte Heydrich. »Stimmt es, daß sie ein schwaches Herz hat?« Zehn Minuten später saß Irene vor dem Schreibtisch in seinem Büro und erzählte ihm alles, was sie wußte.
Kurz nach Mitternacht kehrte der Funker Haupt mit den notwendigen Ersatzteilen zu »Gebrüder Hoffer« zurück. Max Winter war schon seit gut drei Stunden wieder da.
»Mein Gott, Sie haben ja schrecklich lange gebraucht.«
»Ich kann von Glück sagen, daß ich die Dinger überhaupt bekommen habe«, antwortete Haupt.
Max gähnte, ging zum Fenster, zog den Vorhang ein kleines Stück zur Seite und spähte hinaus. Er bemerkte, daß sich zwischen den Statuen etwas bewegte, und erstarrte.
»Otto«, rief er. »Ich glaube, wir haben Besuch.«
»Ich sehe vorn nach«, sagte Hoffer.
Er öffnete einen Schrank, nahm eine Schmeisser-MP heraus und ging die Hintertreppe in die Werkstatt hinunter. Er machte kein Licht, entsicherte die Waffe und schritt im Dunkeln zur Tür. Und dann war die Nacht plötzlich voll von Motorenlärm. Das Tor wurde eingedrückt, und ein gepanzerter Mannschaftswagen schob sich in die Öffnung. Das eine Vorderrad erfaßte Hoffer, schleuderte ihn gegen die Wand. Seine Finger betätigten krampfhaft den Abzug der Schmeisser, und mindestens ein Dutzend Waffen antwortete, zerfetzte ihn. Max, der oben an der Treppe stand, wußte daß es zu Ende war. Mit angelegter Walther wartete er auf sie. Er begann, laut zu beten, das ehrwürdige Gebet, das jeder strenggläubige Jude drei- oder viermal am Tag spricht, und zuletzt, wenn er dem Tod ins Auge schaut:
Höre, Israel: Der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist
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