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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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wie ich zu entschlüsseln
     versuchte, was Ludwig gegenüber der Revolte der Großen empfand. Denn die Überwachung – um nicht zu sagen Bespitzelung –, der
     er unterlag, hatte um ihn noch zugenommen seit der Einnahme von Mézières, so als fürchtete die Regentin – wie unsinnig! –,
     daß er gegen sie die Partei der Prinzen ergreifen könnte. Seit kurzem wurde Ludwig sogar zum Ministerrat gebeten, und sei
     es als stummer Teilnehmer. Dadurch sollte bezeugt werden, daß zwischen ihm und derjenigen, die das Reich in seinem Namen regierte,
     kein Schatten einer Verstimmung bestand, gleichzeitig verschanzte sich die wankende Macht der Regentin hinter der geheiligten
     Person des gottgegebenen Herrschers.
    Den berühmten De Thou hatte ich schon gesehen, aber nur von ferne bei öffentlichen Zeremonien. Von nahem nun, während er mühselig
     vor dem König niederkniete, fand ich ihn alt und gebrechlich. Soweit ich wußte, hatte sich der berühmte Historiker nie von
     dem Schlag erholt, der ihn drei Jahre zuvor getroffen hatte, als seine Kandidatur für das Amt des Ersten Gerichtspräsidenten
     von der Regentin abgelehnt worden war. Nachdem sie den Papst um Rat gefragt hatte (aber die Episode habe ich bereits erzählt),
     hatte sie sich für Monsieur de Verdun entschieden, einen nicht sehr fähigen Mann, der aber von den Jesuiten gestützt wurde.
    Damit war Präsident De Thou, damals Ratsvorsitzender des Prinzen Condé, aber noch nicht am Ende der Bitternisse. Als die Königin
     hörte, daß Monsieur de Thou gesagt hatte, die Dinge wären besser für ihn ausgegangen, wäre der Prinz in Paris gewesen, fühlte
     sie sich durch diese Worte gereizt und hatte die Grausamkeit, dem unglücklichen Präsidenten einen Brief des Prinzen zuzustellen,
     in welchem dieser die Wahl der Regentin billigte. Ihre unverdiente Mißachtung und Condés Verrat, obwohl De Thou ihm so gut
     gedient hatte, betrübten den Mann derart, daß er jeden Mut verlor und nahezu verstummte.
    Wie gesagt, verdankte er sein Unglück dem Papst, der kurz |245| und knapp geantwortet hatte, De Thou sei ein ›Ketzer‹. Obwohl Herr De Thou gut katholisch war, hatte ihm der Vatikan zwei
     Verbrechen nicht verziehen, die dieses Urteil veranlaßten: seine
Histoire Universelle
bezeugte hinsichtlich der Protestanten eine gewisse Toleranz, und das Edikt von Nantes war auf Henri Quatres Bitte hin von
     Herrn De Thou vorbereitet und großenteils verfaßt worden.
    »Sire«, sagte Präsident De Thou nun zu Ludwig, »ich komme, von Euch Urlaub zu nehmen, denn ich werde von der Königin Eurer
     Mutter nach Mézières gesandt, wo ich Friedensverhandlungen mit dem Herrn Prinzen Condé führen soll.«
    Ich wußte von diesem Auftrag nichts und muß gestehen, daß ich De Thous Seelengröße bewunderte, in seinem Alter, trotz seiner
     hinfälligen Gesundheit diese Reise auf sich zu nehmen und den Verrat der Königin und des Prinzen zu vergessen, nur um seinem
     Lande zu dienen.
    Ob Ludwig sich jener Nackenschläge des Präsidenten im Jahr 1610 erinnerte, oder ob er später davon erfuhr, weiß ich nicht,
     denn je mehr man ihm verhehlte, desto begieriger versuchte er, sich zu informieren. Nach dieser Begegnung indes kam ich zu
     der Überzeugung, daß er alles wußte, denn er handelte gegen Herrn De Thou, wie er es am Tag nach seiner Salbung mit Bellegarde
     getan hatte, um ihn über Concinis Unverschämtheiten zu trösten, allerdings mit einer Nuance: ohne den ehrwürdigen Präsidenten
     ebenso vertraulich beim Bart zu fassen, bekundete er ihm gleichwohl seine Zuneigung und Wertschätzung, indem er ihm beide
     Hände auf die Schultern legte – eine Geste, derer Herr De Thou noch drei Jahre später, kurz vor seinem Tod, tief bewegt gedachte.
     Und so sprach der König in heiterem Ton: »Geht, Monsieur De Thou! Und sagt jenen Herren da, sie sollen ja artig sein!«
    Ich bewunderte diese Worte, den Ton und die Geste: alles stimmte. Die aufsässigen Prinzen in Mézières waren nicht mehr als
     ›jene Herren da‹, und der König von Frankreich, trotz seiner zwölfeinhalb Jahre weit entfernt, sie zu fürchten, behandelte
     sie überlegen wie ungezogene Kinder, die ein hoher Staatsdiener schelten solle, um sie zur Räson zu bringen.
    Da ich mehrmals festgestellt hatte, daß Ludwig mehr Dinge wußte, als er durch mich erfahren hatte, schloß ich, daß es in |246| seiner Umgebung noch andere Personen gab, die ihn über die Affären unterrichteten, welche die Regentin ihm so

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