Königskind
waren nicht etwa, wie man denken könnte, die zweiunddreißig kleinen Edelleute, Ludwigs Spielgefährten, sondern
sein Bruder und seine drei Schwestern. Der König hatte sie nach Henri Quatres Tod so benannt, weil er meinte, daß er als Ältester
und als Thronfolger seines Vaters den jüngeren Geschwistern auch die väterliche Autorität und Liebe zu geben habe.
Als ich die Gemächer des Königs betrat, beendete er gerade die Mahlzeit mit ›seinen Kindern‹, die er in immer gleicher Ordnung
um seinen Tisch versammelt hatte. Zu seiner Rechten saß Gaston, sechs Jahre alt, der bei Nicolas’ Tod Herzog von Orléans und
Monsieur
geworden war, ein aufgewecktes, fröhliches Kind, angeblich bevorzugt von seiner Mutter, doch war diese Bevorzugung relativ
und erschien als solche nur im Gegensatz zu der unveränderlichen Fühllosigkeit gegenüber dem Ältesten. Links von Ludwig saß
Madame
, die sanftmütige, fügsame Elisabeth, elfeinhalb Jahre und Ludwig im Alter am nächsten und von ihm auch am meisten geliebt.
Auf der anderen Tischseite, dem König gegenüber, saßen die beiden kleinen Schwestern: Chrétienne, acht Jahre alt, die dereinst
den unbedeutendsten Herrscher – den Herzog von Savoyen – heiraten und am glücklichsten werden sollte. Und schließlich das
jüngste Kind Frankreichs, die fünfjährige Henriette, ein Jahr vor der Ermordung des Königs geboren; ihre Geburt hatte man
dem Volk nicht einmal durch die üblichen Kanonenschüsse zu verkünden geruht, so leid war es das königliche Paar, Töchter zu
bekommen.
»Ein schlechtes Vorzeichen!« hatte unsere Mariette, die Augen gen Himmel und mit wogendem Busen, gerufen. Und hierin täuschte
sie sich nicht. Die arme Henriette, so wenig ehrenvoll in dieser Welt empfangen, vermählte sich zwar glorreich, denn sie heiratete
Charles I. von England, doch wurde dieser unglückliche König einige Jahre später von seinen Untertanen enthauptet und ließ
sie als Witwe zurück.
»Meine Kinder«, sagte Ludwig, als das Dessert kam, »ich will Euch eine Geschichte erzählen von einem kleinen Wildschwein.«
»Einem Wildschwein, Sire?« fragte Madame, die den jüngeren |241| Schwestern gern vorführte, daß sie als die Älteste das Recht hatte, Fragen zu stellen.
»Das heißt aber Frischling«, sagte Gaston, der, weit entfernt, zu stottern wie sein großer Bruder, eine muntere, flinke Zunge
hatte.
»Redet nicht an meiner Stelle, Monsieur«, sagte der König streng. »Außerdem geht es in dieser Geschichte um einen weiblichen
Frischling, die Schwester eines Frischlings, nicht sein Weibchen, weil sie in ihrem Alter noch gar nicht heiraten konnte.«
Gaston errötete über die kleine Zurechtweisung, aber die Röte verlor sich schnell, und vermutlich dachte er im nächsten Augenblick
schon nicht mehr daran, so geschwind wechselten bei ihm die Eindrücke. Im Äußeren war er seinem großen Bruder sehr ähnlich,
hatte die gleichen schwarzen Augen und das lange Kinn, aber im Unterschied zu Ludwig, dessen Gesicht entschieden und verschlossen
wirkte, war das von Gaston fröhlich, verschmitzt und ein bißchen weichlich.
»Aber, Sire«, wagte Chrétienne mit feiner Stimme zu fragen, »wie alt war denn das Frischlingsmädchen?«
»Es war noch sehr klein«, sagte Ludwig.
»Und wie klein?« fragte Madame, die fand, daß es von Chrétienne ziemlich ungehörig war, mit ihren acht Jahren das Wort zu
ergreifen.
»Dieses kleine Wildschwein«, sagte Ludwig, »war so groß wie eine Katze. Es wurde von einem meiner Wasserträger namens Bonnet
in der Küche aufgezogen, und weil er es ganz früh zu sich genommen hatte, hielt es ihn für seine Mutter und liebte ihn sehr.«
»Seine Mutter?« fragte Chrétienne.
»Weil bei Tieren die Jungen von ihrer Mutter ernährt werden«, sagte Ludwig, der wohl am besten wußte, daß es bei Königskindern
nicht so war. »Und«, fuhr er fort, »eines Abends stürzte der arme Bonnet aus dem Fenster und starb. Man trug seinen Leichnam
in die Küche, und das kleine Wildschwein lag die ganze Nacht bei ihm und quiekte. Am nächsten Morgen holte man Bonnet ab,
um ihn zu begraben, und nachdem er fort war, suchte ihn das kleine Wildschwein überall, und weil es ihn nirgends fand, verweigerte
es jede Nahrung, bis es auch gestorben ist.«
|242| »Ach, wie traurig«, sagte Madame, Tränen in den Augenwinkeln, die sie aber zurückhielt, um ihrem großen Bruder nicht zu mißfallen.
»Aber, Sire«, sagte Gaston, der gerne
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