Königskind
Blois zu setzen, wo ihr Gemahl ermordet worden war‹.
Ich neige zu der Ansicht, daß eher der Ehrenkodex einer Guise diese Weigerung inspiriert hatte, nicht liebendes Gedenken.
Denn in der Ehe der Guises gab es Betrug auf beiden Seiten, zahlreich und öffentlich, und sie verbrachten gemeinsam so wenig
Zeit, daß es wunder nimmt, wie meine liebe Patin von ihrem Mann so viele Kinder bekommen konnte.
Ludwig schätzte an Madame de Guise besonders jenes freimütige, offenherzige Wesen, das ihm eine Erholung von den höfischen
Heucheleien war. Und was war zudem natürlicher, als daß er in La Noue um neun Uhr morgens die Cousine seines verstorbenen
königlichen Vaters besuchte. Trotzdem ging er allein hin, zu Fuß, und befahl bei seinem Aufbruch vom Schloß, seinen Besuch
in La Noue zu verschweigen.
Sowie er uns auf dem Weg erblickte, schritt Ludwig schneller aus, kürzte unsere Kniefälle ab, dankte uns kurz, daß wir gekommen
waren, und befahl Monsieur de La Surie, auf der Allee zu bleiben und uns zu warnen, wenn jemand vorbeikäme. Hierauf zog er
uns in ein dichtes Gebüsch abseits des Weges und fragte unvermittelt meinen Vater: »Monsieur de Siorac, Bellegarde sagte mir,
daß Ihr 1588 zu Blois ein engerer Vertrauter Heinrichs III. wart. Könnt Ihr mir sagen, wie der König dazu kam, den Herzog
von Guise umbringen zu lassen?«
Diese Frage, die mich sprachlos machte, schien meinen Vater jedoch kaum zu überraschen. Vielmehr mußte er sie erwartet haben.
»Sire«, sagte er, »Heinrich III. hatte keine Wahl: sein Thron, seine Freiheit waren bedroht, wahrscheinlich auch sein Leben.«
»Seine Freiheit?« fragte Ludwig stirnrunzelnd.
»Die Guises planten, sich seiner Person zu bemächtigen und ihn in ein Kloster zu sperren … Und ich denke, sie hätten ihn dort
nicht alt werden lassen.«
»Und wann beschloß der König, Monsieur de Guise umzubringen?«
»Meines Erachtens trug er sich mit dem Gedanken, seit Guise Paris eingenommen und ihn daraus vertrieben hatte.«
|273| »Konnte er nicht seine Truppen gegen ihn werfen, um die Hauptstadt zurückzugewinnen?« fragte Ludwig mit einem kleinen Funkeln
in den Augen.
»Nein, Sire. Heinrich hatte nur viertausend Mann, und sein Schatz war erschöpft. Außerdem war Heinrich kein Soldatenkönig
wie Euer verstorbener Vater.«
»Und was machte er?«
»Er zog sich mit seinen viertausend Mann zurück nach Chartres und tat, als höre er auf seine Mutter und die Minister, die
er von ihr übernommen hatte und die mehr ihr dienten als ihm. Sie nämlich wollten mit Guise verhandeln.«
»Seine Mutter wollte verhandeln?« fragte Ludwig, und ein jähes Leuchten trat in seine schwarzen Augen. »Verriet sie ihn?«
»Sie war sich dessen nicht bewußt. Tatsächlich aber betrieb sie ihre eigene Politik. Sie hatte gute Beziehungen zu Guise und
wollte sie sich nicht verderben, egal, was dies den Staat kostete. So durchkreuzten ihre Initiativen oft die Pläne ihres Sohnes
und brachten alles durcheinander.«
»Aber wie, Monsieur de Siorac, verfuhr er mit einem Abtrünnigen, der ihm seine Hauptstadt genommen hatte?«
»Er stimmte allem zu, sogar der Einberufung der Generalstände.«
»Das war Schwäche!«
»Von Heinrichs Seite war es eine vorgetäuschte Schwäche, die darauf abzielte, Guises Wachsamkeit einzuschläfern, denn in Blois
war die Position Heinrichs III. in Wirklichkeit stärker als die des Herzogs. Er hatte die französischen Garden von Larchant,
die Korsen von Ornano, die Schweizer und die berühmten
Fünfundvierzig,
verarmte Edelleute in seinem Sold. Dazu saß er im Schloß. Gewiß hatte Guise die Generalstände und die Mehrheit der Franzosen
auf seiner Seite, aber zu Blois gebot er nur über die Edelmänner seines Gefolges.«
»Was erwartete sich Guise von den Generalständen?«
»Daß der König, der keinen Erben hatte, die Rechte Eures Vaters auf seine Nachfolge für hinfällig erklärte, weil er damals
Hugenotte war. Damit wäre Guises Weg auf den Thron frei gewesen. Aber Heinrich weigerte sich, und zur Revanche sperrten ihm
die Generalstände die Mittel. Der König erschien schwach und zaudernd, aber er war es durchaus nicht.«
|274| »Wieso?«
»Kaum in Blois eingetroffen, entließ er die Minister, die er von seiner Mutter übernommen hatte, und ersetzte sie durch ihm
ergebene Männer. Mir an Guises Stelle hätte allein das zu denken gegeben.«
»Und Guise faßte keinen Argwohn?«
»Nein, Sire. Er verachtete den
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