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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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einer Staatsaffäre wurde … Und weil in solchen Affären der Glaube mehr zählt als
     Tatsachen, sprach man sich für den sofortigen Vollzug der Ehe aus – so roh und taktlos dies auch war –, fest entschlossen
     allerdings, dem befürchteten Scheitern allen Anschein eines überzeugenden Erfolges zu verleihen.
    Es begann damit, daß man eine Beziehung der beiden Halbwüchsigen in idyllischen Farben erfand. So wurde Luynes nach Bayonne
     entsandt, um der Infantin Anna einen Brief des Königs zu überbringen, in dem er ihr seine ›Ungeduld‹, sie zu sehen, bekundete.
     Die Wahl des Boten war höchst geschickt, denn sie konnte Ludwig nur gefallen und seinem Günstling schmeicheln, so daß bei
     dieser Unternehmung kein Widerspruch zu fürchten stand, weil der Bote gewissermaßen die Botschaft war, die selbstverständlich
     auch sogleich veröffentlicht wurde, zusammen mit der Erklärung, dieses Sendschreiben sei von Ludwig um halb zehn Uhr abends,
in seinem Bett,
|345| verfaßt worden – ein rührendes Detail, das Héroard brav bestätigte.
    Daß dieser Brief aber von Ludwig nicht aus eigenem Antrieb geschrieben, sondern nur eigenhändig von einer Vorlage abgeschrieben
     wurde, davon bin ich auf Grund einiger Formulierungen überzeugt, die ich in der folgenden Wiedergabe dieses Billetts für den
     Leser hervorhebe:
     
    Madame, da ich nicht,
wie ich es wünschte
, bei Eurer Ankunft in meinem Reich zugegen sein kann, um
die Macht
,
die ich hier habe, mit Euch zu teilen,
wie auch meine Neigung, Euch zu lieben und zu dienen, sende ich Euch Luynes, einen meiner vertrautesten Diener, damit er Euch
     in meinem Namen grüße und Euch sage, daß Ihr hier von mir
mit Ungeduld
erwartet werdet, um Euch persönlich das eine wie das andere darzubieten (gemeint sind Macht und Neigung). Ich bitte Euch also,
     ihn günstig zu empfangen und zu glauben, was er Euch, Madame, sagen wird von
    Eurem teuersten Freund und Diener
    Ludwig
     
    Meines Erachtens hätte Ludwig von sich aus weder von der ›Macht‹ gesprochen, die er in seinem Reich habe, weil er gar keine
     hatte, noch Anna von Österreich versprochen, er wolle sie mit ihr teilen, weil er höchst eifersüchtig auf seine königlichen
     Vorrechte hielt und ihr niemals, sein Leben lang, auch nur den kleinsten Anteil daran abtrat.
    Noch weniger hätte er von der ›Ungeduld‹ gesprochen, mit der er sie erwarte, weil er in seiner Untröstlichkeit über Madames
     Fortgehen nur eine unheilvolle Verkettung erblicken konnte zwischen dem Verlust der geliebten Schwester und der Ankunft einer
     Fremden, die er im voraus seinen künftigen Feinden zurechnete.
    Auch erzählte man, in seiner ›Ungeduld‹, sie zu sehen, sei er ihr am Samstag, dem einundzwanzigsten November, auf dem Weg,
     den sie kam, entgegengefahren, habe seine Karosse neben der ihren halten lassen, habe sie angeschaut und ihr, mit dem Finger
     auf sich zeigend, ›fröhlich‹ zugerufen:
»Io son incognito! Io son incognito!«
Darauf habe er seinen Kutscher angetrieben, sie zu überholen, und sei eine Stunde vor ihr in Bordeaux angelangt.
    |346| Nicht daß er dies getan hat bezweifle ich, sondern daß er es von sich aus tat und mit der ihm zugeschriebenen Freude. Denn
     wenn er so glücklich war, die Infantin zu erblicken, was hinderte ihn dann, bis Bordeaux in ihrer Gesellschaft zu bleiben?
     Schließlich war er, auch wenn er sie per Stellvertretung geheiratet hatte, doch ihr Gemahl. Und finden Sie nicht auch, Leser,
     daß er, indem er ihr sein:
»Io son incognito!«
von Wagen zu Wagen zurief, dann aber gleich davonpreschte nach Bordeaux, anstatt auf seine Gemahlin zu warten und sie zu geleiten,
     wahrlich nur das Allermindeste tat?
    Unter den rosa Märchen, welche die Macht in die Ohren des Hofes säuselte, auf daß er die prinzliche Idylle glaube, ist allerdings
     eines, das wahrer klingt. Am Tag nach der Ankunft Annas von Österreich besuchte Ludwig sie, während man sie ankleidete. Da
     traf es sich, daß sie eine scharlachrote Feder suchte, um sie mit einer weißen zu verbinden, und daß der König ihr sogleich
     seinen Hut reichte und sie bat, sich eine der seinen auszuwählen. Woraufhin er sagte: »Jetzt müßt Ihr mir eine Eurer Schleifen
     geben.« Was sie lächelnd tat, und diese Schleife heftete er an seinen Hut.
    Das war von der einen wie der anderen Seite nun nicht die große Anziehung, aber wenigstens eine hübsche Galanterie, die, hätte
     man diesen halben Kindern Zeit gelassen, einander

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