Königskind
Bellegarde ihm gestern geschenkt
habe. Er bat Descluseaux, uns die Tür aufzuschließen, und während wir hinaufstiegen, erläuterte er noch dies und jenes zu
der ruhmvollen Eroberung oder vielmehr Rückeroberung des Schlosses Chambord durch seine Truppen.
Ton, Stimme, Gesicht, alles an ihm war im Nu wie ausgewechselt, sowie Descluseaux den Raum verlassen hatte.
»Sioac«, sagte er leise, während er lärmend die Hakenbüchse von Bellegarde zerlegte, »kennt Ihr Déagéant?«
»Nein, Sire. Aber mein Vater hatte mit ihm zu tun.«
»Wie das?«
»Déagéant überbrachte ihm von Eurem königlichen Vater heimlich Gelder für seine geheimen Missionen.«
»Und was hält der Marquis de Siorac von Déagéant?«
»Viel Gutes.«
»Ich auch«, sagte Ludwig, indem er mich ernst aus seinen schönen schwarzen Augen anblickte.
»Trotzdem, Sire«, sagte ich nach kurzer Überlegung, »Déagéant ist Schreiber von Barbin, dem Intendanten der Königinmutter.«
»Deshalb«, sagte Ludwig, »ist er mir dennoch ein guter Diener. |385| Ich möchte, Sioac, daß Ihr Déagéant trefft.
Er ist überaus gut
.«
Mein Leser erinnert sich wohl, daß dies die besondere Ausdrucksweise des Königs war.
»Und was, Sire, soll ich ihm sagen?«
»Er wird Euch Dinge mitteilen.« Der König setzte hinzu: »Als Barbins Schreiber kann er mich ohne Gefahr nicht oft sehen.«
Ich verstand also, daß der König von mir erwartete, ein Bindeglied zwischen Déagéant und ihm zu sein. Ludwig las aus meinem
Blick Verstehen und Zusage und setzte Bellegardes Hakenbüchse zusammen, ohne noch etwas hinzuzufügen. Dann rief er Descluseaux,
wischte sich rasch die Hände ab, und als die Tür geöffnet wurde, lief er so schnell die Treppe hinunter, daß ich kaum nachkam.
Dieses Gespräch unter vier Augen machte auf mich tiefen Eindruck: in einem Monat wurde Ludwig fünfzehn Jahre. Und so sehr
manche seiner Beschäftigungen mir seinem Alter unangemessen erschienen – aber war das nicht auch Komödie, um den Argwohn der
Königinmutter zu täuschen? –, so bestimmt und seiner sicher fand ich ihn an diesem Tag. Und ich war trunken vor Freude, von
ihm zum erstenmal einen Auftrag erhalten zu haben, mochte er noch so bescheiden sein, wie sein Vater ihn ehemals dem meinen
anvertraut hatte.
Ich überlegte den ganzen Tag, wie ich die Begegnung mit einem Mann, den ich nie gesehen hatte, am besten arrangieren sollte,
doch ganz unnötigerweise, denn am selben Abend, als ich mich in meiner Wohnung im Louvre nach kurzer Mahlzeit zum Schlafengehen
bereitete, klopfte es an meiner Tür. Da ich zu so später Stunde niemand mehr erwartete, lud ich meine Pistolen, die ich griffbereit
legte – der Louvre war abends nicht sicherer als Paris –, während La Barge sich vom Pagen zum Lakaien verwandelte, indem er
in seine Livree schlüpfte, und Robin sich mit einem Knebelspieß für alle Fälle am Eingang postierte.
Auf mein Zeichen hin öffnete La Barge stufenweise die Tür, und zum Vorschein kam ein durchaus nicht furchterregender, kleiner
Mann, degenlos und in seiner strengen schwarzen Kleidung einem Geistlichen ähnlich, der noch keine Tonsur hat.
|386| »Herr Chevalier«, sagte er mit tiefer Verbeugung, »ich bin Déagéant und Euer untertäniger und ergebener Diener.«
»Euer Diener, Monsieur Déagéant!« erwiderte ich, während La Barge die Tür hinter ihm schloß. »Bitte, tretet ein und nehmt
auf diesem Stuhl Platz.«
Mit den Augen gab ich La Barge und Robin das Zeichen, in meine angrenzende Schlafkammer zu verschwinden, wo sie, wie ich wußte,
sich die Zeit mit Würfeln und meinem Wein vertreiben würden.
»Monsieur Déagéant«, sagte ich, »es freut mich, Euch kennenzulernen. Mein Vater hat mir erzählt, welche Beziehungen er zu
Euch bei Lebzeiten des Königs hatte.«
»Und wie geht es dem Herrn Marquis?« fragte Déagéant mit einer Verneigung.
»Gesund und munter.«
Déagéant beglückwünschte mich dazu, und während er sprach, beobachtete ich ihn. Er hatte breite Schultern, einen Bauernschädel,
blanke schwarze Augen, kurzgeschorenes Haar, einen sauber beschnittenen Schnurrbart und Kinnbart und wirkte zugleich sicher
und bescheiden.
»Herr Chevalier«, sagte er, beide Hände auf den Knien, »er laubt , daß ich Euch sage, wie wir die Dinge zwischen Ludwig, Euch und mir halten sollten. Sowie ich Wichtiges mitzuteilen habe,
werde ich Euch jeweils zu dieser späten Stunde aufsuchen. Ihr macht darüber bitte einen Bericht,
Weitere Kostenlose Bücher