Königskind
diese brüderliche Liebe zusammen mit ihrem heiteren, gefälligen
südlichen Wesen machte sie dem ganzen Hof angenehm. Sie konnten auch wahrlich stolz auf sich sein, schön gewachsen, wie sie
waren, wenn auch nicht groß, mit Samtaugen, rabenschwarzen Haaren und edel geformten Zügen.
Brantes trat ebenfalls beiseite, gab mir mit einem Lächeln den Durchgang frei, und ich betrat ein Gemach, wo ich zunächst,
vom Licht zweier großer Leuchter geblendet, nur ein |436| halbes Dutzend Personen im Kreis sitzen sah. Aber Brantes faßte meinen Arm und drückte mich auf einen Schemel. Meine Augen
hörten auf zu zwinkern, und voll Verblüffung erkannte ich mir gegenüber den König. Sofort sprang ich auf, ihm Ehre zu erweisen,
doch Brantes faßte mich neuerdings am Arm und flüsterte mir zu, ich solle mich setzen, Seine Majestät wolle bei diesen geheimen
Zusammenkünften keine Zeremonien.
»Sire«, sagte Monsieur de Luynes, »alle, denen Ihr zu kommen befahlt, sind beisammen.«
Ludwig blickte in die Runde. Da waren Monsieur de Modène, Monsieur de Marsillac, Déagéant, ich und einer, der Monsieur Tronçon
sein mußte. Eine Handvoll, eine ganz kleine Handvoll Männer, die bereit waren, ein Königreich zu erobern.
»Danke, meine Herren, daß Ihr mir so gute Diener seid«, sagte der König.
Weil das Stottern seiner Kinderjahre ihn verschlossen gemacht hatte, aber auch aus einem natürlichen Hang, großen Worten zu
mißtrauen, war Ludwig kein beredsamer Mensch, und er schätzte großes Gerede auch bei anderen nicht. Aber als Mann knapper
Worte gab er diesen durch Miene und Tonfall eine Bedeutung, die über ihren Sinn hinausreichte. Wenn er uns also dankte, ihm
›so gute Diener‹ zu sein, hieß das, wir waren ihm im Gegensatz zu all denen, die ihn verlassen hatten, treu geblieben, trotz
aller Anstrengungen Concinis und seiner Mutter, Einsamkeit um ihn zu verbreiten.
Nachdem er uns derweise gedankt hatte, ohne Phrasen, aber mit einer Bewegung, die von Herzen kam und die seine schönen, schwarzen
Augen erleuchtete, stellte Ludwig den Zweck unserer Zusammenkunft ebenso kurz und triftig dar.
»Meine Herren, Ihr wißt, daß es mir mißfällt, wie dieses Land regiert wird, wie wenig meine Person geachtet wird und daß man
mir keinen Teil an den Geschäften des Reiches gewährt.« Hier hielt er inne, als sei er selbst erstaunt, einen so langen Satz
gesprochen zu haben, und unvermittelt schloß er: »Dem muß abgeholfen werden, meine Herren. An Euch ist es, dazu Mittel und
Wege zu finden.«
Dann setzte er eine Erklärung hinzu, die mir sehr aufschlußreich erschien: »Mir wäre es lieb, sanftere Mittel zu versuchen,
statt zu den äußersten zu greifen.«
|437| Wenn Ludwig ›äußerste Mittel‹ auch fürs erste ablehnte, dachte ich mir, hatte er sie doch gleichwohl erwogen und schloß sie
nicht aus, sollten die ›sanfteren‹ fehlschlagen.
Nachdem Ludwig gesprochen hatte, sagte erst einmal niemand etwas, weil jeder, wie ich mir vorstellte, zunächst ebenso ratlos
war wie ich, was ›sanftere Mittel‹ heißen mochte, wo es doch galt, sich Concini vom Hals zu schaffen.
»Ergreift frei das Wort«, sagte der König nach einer Weile, »ohne mich jedesmal um Erlaubnis zu bitten.«
»Sire«, sagte endlich Monsieur de Luynes, »wenn Eure Majestät sich in Begleitung der leichten Reiterei nach Saint-Germain
begibt, wäre es ein leichtes, in den Sattel zu springen und auf schnellstem Wege nach Rouen zu gelangen.«
»Rouen?« sagte Monsieur de Modène. »Rouen ist eine gute Stadt, gewiß, und königstreu. Aber viel zu nahe an Caen, wo Concini
über Truppen und Kanonen gebietet.«
»Sicher«, sagte Luynes, und weil er einsah, daß er in seinen Fluchtideen sich im Ort vergriffen hatte, setzte er hinzu: »Gut,
also lieber Amboise, das mir gehört.«
»Amboise ist ein schönes Schloß«, sagte Monsieur de Marsillac, »aber kaum zu verteidigen, wenn man nur eine Kompanie Berittene
hat.«
»Und vor allem«, sagte Déagéant, dem diese Flucht sichtlich gegen den Strich ging, »wenn Seine Majestät in Amboise ist, was
dann?«
»Dann könnte Seine Majestät all jene, die sich für seine treuen Untertanen halten, zu sich rufen.«
»Und wenn niemand kommt?« fragte Déagéant.
»Wenn niemand kommt«, wiederholte Monsieur Tronçon, »gerät der König in eine vertrackte, demütigende Lage. Nein, diese Flucht
nach Amboise verträgt sich nicht mit seiner Würde.«
Hierauf folgte ein
Weitere Kostenlose Bücher