Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
bisher nichts gehabt hatte als hohle Träume im Kopf und mir auch alles
     andere als sicher war – falls es mir gelänge, sie nach Paris zu holen –, daß sie mir die letzten Beweise einer Liebe gewähren
     würde, die sich seit Monaten nur von Papier und Tinte nährte.
    Der Marquis von Ancre bewohnte ein kleines Haus neben dem Louvre, die Marquise aber genoß, wie ich wohl schon sagte, das Privileg
     dreier zusammenhängender Räume über den Gemächern der Königin, zu denen sie über eine kleine Wendeltreppe gelangte. Diese
     drei Räume, durch die man hindurch mußte, wollte man zu Stellen, Ämtern, Ehren, Steuerpachten und sogar zu Abteien gelangen,
     waren das Heiligste vom Allerheiligsten. Und in Abwandlung des Bibelwortes wäre ein Kamel eher durch ein Nadelöhr gekommen
     als ein Armer dort hinein.
    Auf Tag und Stunde, die Montalto mir nannte, stellte ich mich an der Tür unserer Vizekönigin ein, begleitet von La Barge und
     Pissebœuf, aus Gründen, die sich noch zeigen werden, aber eintreten durfte ich nur allein. Empfangen wurde ich von Marie Brille,
     einer Französin, die – La Barge dixit – für die Marquise kochte, eine dicke Trutschel, die auch, als ich meinen Namen nannte,
     nicht von der Schwelle wich und mir den Eintritt durch ihre schiere Masse verwehrte. Also begriff ich, daß man ihr einen Obolus
     zahlen mußte wie Charon, um den Styx zu überqueren. Ich drückte ihr einen Ecu in die Pranke, und das Weib wich. Das kleine
     Kabinett, das ich betrat, war Küche, Apotheke, Spezereienlager und, ich wette, auch Baderaum in einem, denn in einer Ecke
     sah man einen |107| Badezuber stehen. Die Dicke steckte meinen Ecu zwischen ihre gewaltigen Brüste (wo selbst die habgierigste Kreatur Gottes
     nicht hätte hinlangen mögen) und zeigte mit ihrer Hand, groß und rot wie ein Schlegel, wortlos auf eine Tür hinten im Raum.
     Ich klopfte, und die Tür öffnete sich vor einer Dienerin, die an Häßlichkeit, wenn auch nicht an Fett, die erste noch übertraf,
     ein schielendes, schiefnasiges, zahnloses Wesen. Diese Schönheit war Italienerin. Laut La Barge hieß sie Marcella, und auch
     sie verweigerte mir stumm den Eintritt, bis sie meinen Obolus kassiert hatte. Nachher fiel mir ein, daß die beiden Gorgonen
     ihren Wegezoll sicherlich darum ohne ein Sterbenswörtchen einforderten, weil sie fürchteten, ihre Herrin könnte ihnen sonst
     von ihren Nadelgelderchen noch einen Anteil abzwacken.
    Trotzdem war Marcella der gesprochenen Sprache durchaus mächtig, denn nachdem sie mir einen Sitz angeboten hatte, sagte sie
     mit leiser, kratziger Stimme, indem sie auf die Tür zum benachbarten Raum wies: »Die Marquise schläft. Sie wird Euch nach
     diesem Edelmann empfangen.«
    Das also war die dritte Tür, die ich zu durchschreiten hatte, bevor ich das Allerheiligste betreten durfte, wo die Gottheit
     die Fürbitten und Opfergaben der Pilger entgegennahm. Ich setzte mich und warf ein Auge auf den, der vor mir dran war.
    »Monsieur«, sagte ich und verneigte mich, ohne mich aber vorzustellen, »ich bin Euer Diener.«
    »Euer Diener, Monsieur«, sagte er, »ich bin Antoine Allory, Seigneur de la Borderie.«
    Auf diesen Austausch folgte ein ziemlich langes Schweigen, das jeder von uns benutzte, den anderen scheinbar zerstreut ins
     Auge zu fassen, während Marcella, ohne uns mehr zu beachten als Möbel, unbekümmert mit einem Lappen über die kleinen Scheibenvierecke
     fuhr. Doch wurde sie darin von Marie Brille unterbrochen, die den Kopf durch einen Türspalt steckte und sie mit lockendem
     Finger in die Küche rief.
    Ihrer Gegenwart ledig, musterte mich Antoine Allory nun mit zunehmender Aufdringlichkeit, was ich einigermaßen unverschämt
     fand. Ich wollte mir das nicht länger bieten lassen und blickte ihm unverhohlen ins Gesicht. Ehrlich gesagt, mir gefiel nicht
     sehr, was ich sah: ein großer, dicker Mann, ziemlich gewöhnlich, mit einem rotgedunsenen Gesicht, aus dem harte, |108| mißtrauische Augen blitzten. Wahrlich! Er hatte nicht geknausert an den Perlen auf seinem Wams, am Federbusch auf seinem Hut,
     an Fingerringen und Steinen, von denen sein Degenknauf funkelte – wobei ich stark bezweifelte, daß er den Degen zu führen
     wußte, so schwer, wie der war.
    Trotzdem, da der Mensch fortfuhr, mich immer unfreundlicher anzustarren, entsann ich mich der Empfehlungen meines Vaters,
     und um einen Streit zu vermeiden, den ich gären fühlte – Gott weiß, warum! –, wandte ich die Augen ab und

Weitere Kostenlose Bücher