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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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aufzunehmen hatte –, und gewundene, mit
     Blattgold belegte Säulen trugen einen Baldachin, der ebenso wie die Bettstatt, ihre Decke und Kissen, mit Gold- und Seidenstickereien
     geziert war, die sich an den Vorhängen wiederholten. Was mich jedoch am meisten erstaunte, war die Anzahl der Truhen an den
     Wänden und in den Fensternischen. Sie waren sehr groß, augenscheinlich sehr schwer, aus kostbaren Hölzern gefertigt, mit Eisen
     verstärkt, mit silbernen Bändern beschlagen, die nicht weniger als drei Schlösser hatten, was voraussetzte, daß man, um sie
     zu öffnen und die darin enthaltenen Schätze zu betrachten, drei verschiedene Schlüssel haben mußte oder aber mit der Axt dreinschlug,
     was indes ausgeschlossen war, solange die Regentin das Land regierte. Leser, vergib mir die Axt, sollte sie dir zu gewalttätig
     erscheinen, zumal man auch nicht auf diese Hölzer und Bänder hätte einschlagen müssen, sondern auf die Veruntreuung öffentlicher
     Gelder, die vermöge der Regentin auf der obersten Staatsebene Einzug gehalten hatte.
    Dies ist also das berühmte Kabinett, dachte ich, das die Concini seit neun Jahren mit ihrer Raffgier verschönert. Es genügt
     ihr nicht, reich zu sein, sie muß sich auch mit Reichtümern umgeben, deren etliche, wie es heißt – Goldmünzen, Perlen, Edelsteine,
     Diamanten –, sich in ihren Truhen häufen. Und wahrhaftig, es ist ein Zimmer von märchenhaftem Luxus, würdig einer Prinzessin
     von Geblüt. Nur noch die Ahnenbilder fehlen.
    In diesen Überlegungen war ich, als die schwarzverschleierte Gestalt mir gegenüber anhob zu sprechen, und diese Stimme verblüffte
     mich, nicht durch das, was sie sagte, sondern durch ihre Kraft, denn die Gerüchte, die am Hof über die Marquise umliefen,
     hatten mir soviel eingeblasen über ihre |113| Schmächtigkeit, ihren kleinen Körper und ihre schwache Konstitution, daß ich mir aus der zerbrechlichen Hülle niemals eine
     so starke, tiefe Stimme erwartet hätte.
    »Nun, Monsieur!« sagte sie, »was habt Ihr mir vorzutragen?«
    »Madame«, sagte ich, indem ich mich so unbedarft und schüchtern wie möglich stellte, »bevor ich mein Anliegen erkläre, möchte
     ich Euch, wenn Ihr erlaubt, einen ziemlich seltenen kleinen Gegenstand zeigen und ihn, ohne den Erfolg meines Ersuchens im
     geringsten beeinflussen zu wollen, Euch zum Geschenk machen, sollte er Euch zusagen.«
    »Laßt sehen«, sagte die Gestalt mit einer Kühle, die mir ein leise erbebendes Interesse zu verhehlen schien.
    Ich zog aus dem Ärmelaufschlag meines Wamses eine kleine Sandelholzschachtel, öffnete sie mit einem winzigen Schlüssel und
     entnahm ihr einen kleinen Elefanten aus Elfenbein, den ich, indem ich mich vom Sitz erhob, mit gesenkten Augen der Marquise
     von Ancre entgegenstreckte.
    Ihre Hände kamen unter dem schwarzen Schleier hervor, der ihr vom Kopf bis über die Brust fiel. Sie waren weiß, mager, nervig,
     sehr klein und erinnerten mich, wer weiß warum, an die Pfoten eines Eichhörnchens. Sie ergriffen meinen ›seltenen Gegenstand‹
     mit einer solchen Gier, als würde er mir entrissen.
    Dieser Gegenstand hatte eine Geschichte. Als mein Vater vor gut zwanzig Jahren von Rom schied, nachdem er dort eine heikle
     Mission beendet hatte (es handelte sich immerhin darum, die Exkommunikation Henri Quatres aufzuheben, nachdem er sich bekehrt
     hatte), kaufte er von einem Händler diesen kleinen Elefanten, den er der
Pasticciera
zum Abschied schenken wollte. Diese nun, eine sehr schöne und hochgeachtete Kurtisane, weil sie stets sechs getreue und hochrangige
     Liebhaber auf einmal hatte, warf meinem Vater den kleinen Elefanten wütend an den Kopf, weil er es wagte, sie zu verlassen,
     ohne daß sie es wollte. Da eine Narbe an der Schläfe ihm die unglückliche Erinnerung daran ohnehin bewahrte, trennte er sich
     leicht von dem Nippes. »Ich hätte ihr besser etwas ohne Schachtel anbieten sollen«, sagte er. »Denn eine Ecke davon hat mich
     verletzt.«
    Die kleinen weißen Hände waren unter dem Schleier, der die Marquise vor dem bösen Blick schützte, sehr gut zu sehen, und |114| auf sie richtete ich meine Augen, damit sie denen der Marquise ja nicht begegneten. Aber allein an der Art, wie sie den elfenbeinernen
     Elefanten in ihren Fingern drehte und wendete, erkannte ich, daß ihr das Geschenk gefiel: ein Eindruck, der sich bestätigte,
     als sie mit gleichsam kindlichem Eifer sagte: »Die Schachtel möchte ich auch.«
    »Sie gehört Euch

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