Königskind
könnte auf die Dauer einen Einfluß auf ihn gewinnen, der ihrer Macht gefährlich werden könnte.
So setzte sie denn gleich das Messer an, völlig unempfindlich für das Leiden, das sie hervorrief, damit ihr Sohn ohne Freund,
ohne Verbündeten, ohne Wehr vor ihr sei. Das andere Kind, das sie ans ›Ende der Welt‹ zu einem außergewöhnlich harten Leben
verbannte, kümmerte sie ohnehin nicht, denn leichten Herzens halste sie ihm die Sünden des Vaters und der
puttana
1 auf, die er geliebt hatte.
***
»Monsieur, ich kann nicht umhin, mir ein paar kleine Fragen über Sie zu stellen.«
Ȇber mich,
bellissima lettrice? «
2
»Sie sind doch jetzt Erster Kammerherr des Königshauses, nicht wahr?«
»Um dies gleich klarzustellen, Madame: es gibt vier Erste Kammerherren. Einer der vier bin ich, während der bekannteste und
einflußreichste am Hof der Marquis von Ancre ist.«
»Ich verstehe, aber was haben Sie zu tun? Kleiden Sie den König an?«
»Nein, Madame, ihn anzukleiden ist Aufgabe seiner Kammerdiener Monsieur d’Auzeray, Monsieur de Berlinghen …«
»Es sind Adlige?«
»Gewiß! Den König anzukleiden ist eine große Ehre.«
»Ich dachte, ›gewiß‹ sagen nur die Hugenotten?«
»Bei mir hat das nichts zu sagen, Madame, ich bin katholisch getauft.«
»Also, Sie kleiden den König nicht an?«
»Nein, Madame.«
»Was machen Sie dann bei ihm?«
»Ich bin da.«
»Wie, Sie sind da? Haben Sie keine Aufgabe? Sind Sie eine Art Möbel, Monsieur, daß Sie nur da sind?«
»Madame, bitte, ziehen Sie ihre Krallen ein! Dasein heißt, |140| dem König zu dienen. Und ihm dienen heißt, auf seine Befehle zu warten.«
»Zum Beispiel?«
»Wenn Ludwig mich vertraulich fragt, wo Malta liegt, sage ich ihm alles, was ich darüber weiß. Und über die Frage, die er
mir gestellt hat, hüte ich Stillschweigen.«
»Aber andere in seiner Umgebung singen?«
»Andere, Madame, singen, und zwar anscheinend nach der Weise, daß Ludwig nur sehr unvollständige Kenntnis der Dinge, die ihn
betreffen, zu erhalten habe und daß die Fragen, die er gestellt hat, sofort der Regentin zu hinterbringen sind.«
»Und wer sind diese Leute?«
»Ich kenne die Spitzel noch nicht. Bisher kenne ich nur die Getreuen.«
»Und wer sind die?«
»Héroard, Praslin, Vitry, Berlinghen.«
»Berlinghen, der Kammerdiener? Ist er so wichtig?«
»Alle, die um den König sind, sind wichtig, Madame, einschließlich der Amme Doundoun.«
»Ist auf sie Verlaß?«
»Das frage ich mich noch. Wie ich bemerkt habe, mißtraut ihr Héroard.«
»Ach! Héroard beobachten Sie auch?«
»Madame, in den Gemächern des Königs späht unablässig jeder nach jedem.«
»Warum denn?«
»Um sich zu vergewissern, ob alle, die dort sind, dieselbe Gesinnung gegenüber dem König, der Regentin und den beiden Marquis
von Ancre hegen.«
»Den beiden Marquis von Ancre?«
»Concini und seine Frau, so nennt sie der Volksmund. Mein Vater nennt sie auch manchmal Conchine und Conchinasse.«
»Wie nimmt es der kleine König auf, das beständige Ziel aller Augen und Ohren zu sein?«
»Auch der Beobachtete ist gleichzeitig Beobachter, und in der Beobachtung zeigt er sich scharfsinnig, weit über sein Alter
hinaus.«
»Und wie steht es mit seinen Studien?«
»Nun, das ist der schwache Punkt!«
|141| »Was heißt das? Haben Sie nicht eben gesagt, es fehle Ludwig nicht an Scharfsinn und Verstand?«
»Der Mangel, Madame, liegt weniger bei dem Lernenden als bei den Lehrenden. D’Yveteaux – sein erster Hofmeister, noch vom
seligen König ernannt – war keine gute Wahl. Er lehrte das bißchen Latein, das er konnte. Außerdem war er nicht gewissenhaft.
Oft kam er nicht und ließ sich auch nicht vertreten. Was die Hofmeister angeht, die nach seiner Entlassung von der Königin
berufen wurden, so sind es gebrechliche alte Herren.«
»Sie sagten, daß zu den Ersten Kammerherren auch der Marquis von Ancre gehört: also ist auch er oft da?«
»Ganz im Gegenteil. In den Gemächern des Königs zeigt er sich selten. Und wenn er kommt, stößt er den König, der überaus schamhaft
ist, durch seine Schamlosigkeit vor den Kopf.«
»Wie das?«
»Nun, als man Ludwig neulich abends zu Bett brachte, erlaubte sich der Marquis von Ancre, der Amme die Hand an den Busen zu
legen und zu sagen: ›Sire, ich halte dafür, daß die Frauen, die Euch zu Bette bringen, mit Monsieur d’Aiguillon, Eurem Großkämmerer,
und mir, Eurem Ersten Kammerherrn,
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