Königskind
schlafen.‹«
»Ein unappetitlicher Mensch! Und was sagte der kleine König?«
»Er blickte den Marquis von Ancre zornig an, kehrte ihm den Rücken und murmelte zwischen den Zähnen: ›Die Schändlichen!‹ Beachten
Sie, daß er sich noch im Zorn beherrschte, denn er sagte nicht: ›Der Schändliche!‹, sondern: ›Die Schändlichen!‹, so als läge
die Geilheit bei den Kammerfrauen und nicht bei Concini.«
»Das scheint in der Tat von Finesse zu zeugen. Er schont den Marquis.«
»Obwohl der ihn, Madame, wenig schont, sondern ihm höchst ungezwungen begegnet und ihn im stillen für einen Idioten hält.«
»Ist das nicht sehr töricht von diesem Vermessenen?«
»Das wird sich zeigen.«
»Wenn ich Ihre Erzählung recht verstehe, Monsieur, sind Sie auf dem besten Weg, der Favorit des Königs zu werden.«
»Nein, Madame, ich bin ein Freund des Königs, sein Favorit ist Luynes, sein Vogelsteller.«
|142| »Und was für ein Mensch ist der?«
»Vergebung, Madame, soweit bin ich noch nicht. Im Augenblick muß ich unser Zwiegespräch beenden und von Ihnen Urlaub nehmen,
so reizend Sie immer sind.«
»Noch ein Schlag aus der Schöpfkelle.«
»Noch ein Kratzerchen Ihrer Krallen! Madame, sagen Sie mir offen: Mögen Sie meinen kleinen König?«
»Ich bin vernarrt in ihn. Wie gern hätte ich ihn in die Arme genommen und ihn über seinen großen Kummer getröstet.«
»Leider wird dieser große Kummer, schöne Leserin, nicht sein einziger bleiben in jenem Jahr 1611.«
* * *
Was mich angeht, so lebte ich monatelang in der unerträglichen Bangnis des Wartens, die kaum gelindert wurde, als Bassompierre
von Heidelberg mit Nachrichten wiederkehrte, die nicht gut, aber auch nicht schlecht waren.
»Oh, schöner Neffe!« rief er, indem er mir seinen Arm um die Schulter schlang, »in so einem kleinen, protestantischen deutschen
Fürstentum zu leben heißt tausend Tode sterben! Grau und Kälte verbünden sich mit gelahrter deutscher Ernsthaftigkeit und
Sittenstrenge, mit dem Mangel jeglicher höflichen Konversation, mit der Gleichgültigkeit gegen die Künste und der Angst vor
der Sünde, so daß das Leben aus einer trübseligen Folge verordneter Pflichten besteht. Karten, Würfel, Bälle, Ballette, Opern,
Komödien, selbst ein schlichtes Kokettieren – alles ist verboten. Und wenn Ihr wagt, einer Dame etwas Artiges zu sagen, schaut
sie Euch mit einem Schrecken an, als wäre Beelzebub persönlich der Hölle entstiegen, um sie in sein Flammenreich zu entführen.«
»Und Frau von Lichtenberg?«
»Darauf komme ich noch, schöner Neffe, nicht so ungeduldig! Wißt Ihr, was bei Pfälzer Edelleuten das Hauptvergnügen ist? Sie
setzen sich um einen Kachelofen, strecken die gestiefelten Beine von sich, paffen lange weiße Tabakspfeifen, trinken eine
Maß nach der anderen und erzählen sich Jagdgeschichten. Die Damen warten derweil in einem Salon nebenan, bis die Herren Gemahle
von dieser köstlichen Lustbarkeit genug haben; und weil besagte Gemahle nicht sehen, wozu es |143| sonst noch nützlich wäre, richten sie wahr und wahrhaftig nur einmal im Jahr das Wort an sie: ›Legt Euch hin, meine Teure!
Ich will Euch ein Kind machen!‹«
»Und Frau von Lichtenberg?«
»Darauf komme ich … Sie ist endlich nun im Besitz ihres Erbteils, und die Minister Friedrichs V. haben ihre Abreise nach Frankreich
auch genehmigt, aber Friedrich selbst, der vierzehn Jahre alt ist und seine Autorität beweisen will, hat ihr die Abreise verboten.
Nun denke ich aber, sobald er seine Minister mores gelehrt und seine Herrschaft durchgesetzt hat, wird er dieses Verbot aufheben,
einmal, weil es grundlos ist, und zum anderen, weil Ulrike als seine Cousine von ihrer mächtigen Familie starke Unterstützung
erfährt.«
Langsam und schwer gingen der Frühling, der Sommer dahin, ohne Frau von Lichtenberg zurückzubringen. Und sogar unser Briefwechsel
wurde sehr gezwungen, weil die Gräfin, Bassompierre zufolge, argwöhnte, daß ihre und meine Briefe geöffnet wurden. Tatsächlich
erfuhr ich später, daß sie sich nicht täuschte, denn Friedrich V. hatte in seinem Land eine Postzensur eingeführt, womit er
bereits in jungen Jahren den despotischen Charakter bewies, der ihm später zum Verhängnis werden sollte.
Wie oft ritt ich in die Rue des Bourbons vor das Haus Frau von Lichtenbergs, um nachzuschauen, ob die Fenster der ersten Etage
offenstanden oder geschlossen waren: was überhaupt nichts besagte, denn von
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