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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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meistenteils
     ein gefährliches Seefahrerleben führten, |137| hätten unentwegt unter oft großen Verlusten die Überfälle der Tartaren und Türken abzuschlagen und diese zu hindern, die Küsten
     der christlichen Länder zu erreichen.
    »Kurzum, Sire, die Malteser Ritter versuchen, den Ungläubigen den Zugang zum westlichen Mittelmeer zu verwehren.«
    »Und wie lange«, fragte Ludwig, indem er mehr stotterte als gewöhnlich, »dauert die Reise von Paris nach Malta?«
    »Ich würde meinen, volle zweieinhalb Monate, Sire, wenn nicht länger.«
    »Aber das ist ja das Ende der Welt!« sagte Ludwig erschrocken.
    Inzwischen war also das Beil gefallen, und es zerschnitt zwei Leben, trennte auf immer zwei unzertrennliche Freunde. Sicher
     war es üblich, einem Sohn Frankreichs bei seiner Volljährigkeit einen neuen Lebensstand zuzuweisen, aber daß er, den Annehmlichkeiten
     des Hofes und des Louvre so fern, einem strengen religiösen Orden überantwortet wurde, den er ebensowenig mehr verlassen konnte
     wie ein Kloster, und dazu der harten Disziplin und den Gefahren eines Kriegerlebens, bedeutete tatsächlich, daß man ihn in
     die unerbittlichste, lebenslange Verbannung schickte, wenn nicht in den Tod, dem der Malteser Orden unaufhörlich Tribut zollte.
    »Sire, oh, Sire!« schrie Vendôme, den der König heiß schluchzend an sich drückte, »habt Erbarmen mit mir! Die Königin will
     mich von Euch reißen. Aber wie soll ich in Malta leben ohne Euch!«
    »Was habt Ihr der Königin meiner Mutter nur getan?« sagte Ludwig unter Tränen.
    »Nichts, Sire, nichts!« rief Vendôme mit zitternder Stimme.
    Und keiner unter den Anwesenden hätte dieser Unschuldsbehauptung widersprechen können, so gut kannte jedermann das freundliche
     Wesen des Chevalier de Vendôme und seinen angenehmen Charakter. Aber so hatte der König die Frage auch nicht gemeint, er wußte
     gut, daß ein so hartes Exil durch kein Vergehen gerechtfertigt war. Und er wußte andererseits, weil er die unüberwindliche
     Sturheit seiner Mutter und ihre mangelnde Liebe zu ihren Kindern kannte – vor allem ihm selbst gegenüber, den sie weniger
     als Sohn denn als Rivalen betrachtete, der ihr eines Tages die Macht entreißen würde –, daß er sich ihr zu Füßen werfen, weinen,
     sie stundenlang anflehen |138| könnte, ohne daß ihr Beschluß auch nur daumenbreit ins Wanken geriete.
    »Zagaye«, sagte der König (denn bei diesem Namen, dessen Ursprung niemand kannte, nannte er Vendôme), »wenn Ihr in Malta seid,
     geht Ihr dann immer zur See?«
    »Ja, Sire.«
    »Gebt gut auf Euch acht!«
    »Ja, Sire.«
    »Seid der Stärkste, wenn Ihr in den Kampf geht!«
    »Ja, Sire.«
    »Schreibt mir oft!«
    »Ja, Sire.«
    Beide Kinder hielten sich an den Händen und weinten zusammen. Sie ließen sich nicht aus den Augen, das Gesicht tränenüberströmt,
     und wechselten Frage und Antwort mit schmerzlicher, matter Stimme. Auf einmal nahm der König die Uhr von seinem Hals und hängte
     sie Vendôme um.
    »Zagaye«, sagte er, »sie gehört Euch, bewahrt sie gut, und immer, wenn Ihr nach der Stunde seht, denkt an mich, der Euch so
     liebhat.«
    Schließlich wurde der Chevalier abgeholt zur Kutsche. Das Schluchzen auf beiden Seiten verstärkte sich. Man mußte sie voneinander
     reißen, und der kleine König blieb allein zurück. Er irrte durch den Raum, den Mund schmerzverzerrt. Und wie er zögernden
     Schrittes hin und her lief, ohne jemand anzusehen, schien er sich auf der Seite zu halten, wo Héroard und ich standen, doch
     ohne daß er den Kopf hob oder uns ansprach – so groß war offenbar seine Furcht, uns, wenn er sich jetzt an uns wandte, bloßzustellen
     und auch noch zu verlieren. Und er sagte wie für sich mit leiser, kaum hörbarer Stimme, die mir ins Herz schnitt, so verzweifelt
     klang sie: »Man nimmt ihn mir weg, weil ich ihn liebe.«
    So viele Jahre, nachdem Ludwig diesen schrecklichen Satz gesprochen hatte, hallt er mir nach im Gedächtnis als die wohl bitterste
     Äußerung, die je ein Sohn über diejenige gemacht hat, die ihm das Leben gab. Und dabei verhüllte Ludwig sie noch hinter diesem
     ›man‹ – aus Vorsicht oder aus Scham, wer weiß? Und er täuschte sich im Grunde nicht, denn als ungeliebtes Kind spürte er mit
     frühreifer Empfindsamkeit, welche Gefühle man für ihn hegte.
    |139| Gewiß beabsichtigte die Regentin nicht aus purer Bosheit, ihm die Freude seines Lebens zu rauben, aber sie fürchtete, diese
     übergroße Liebe zu Vendôme

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