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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Beck und das Gesinde wohnten vermutlich im Erdgeschoß
     und lüfteten oder lüfteten nicht, je nach dem Wetter. Aber weil der Anblick des Hauses mir jedesmal das Herz zusammenschnürte
     und ich um nichts auf der Welt ein zweites Mal meine Würde aufs Spiel setzen und an die Tür klopfen wollte, um von Beck auszufragen,
     beschloß ich, ein für allemal aufzuhören mit diesen schwermütigen Pilgerfahrten, schließlich würde meine Gräfin mich bestimmt
     zu sich rufen, sobald sie in Paris eingetroffen wäre. Aber selbst daran zweifelte ich manchmal, weil ihre Briefe wegen der
     Zensur so kurz waren. Meine waren allerdings nicht besser, denn auf Bassompierres Empfehlung hin schrieb ich ihr mit der größten
     Zurückhaltung, wenn auch unter Seufzern und Tränen, die sie aber den kühlen, korrekten Floskeln schwerlich ansehen konnte.
    |144| Manchmal kam es mir so vor, als ob die Trennung und diese nichtssagenden Briefe den Saft meiner Liebe nach und nach stocken
     ließen und mir am Ende sogar jedes Interesse am
gentil sesso
1 nehmen würden
.
    Als ich eines Tages bei einer Siesta mit Louison vor Lustlosigkeit versagte, fühlte ich mich so gedemütigt, daß ich es meinem
     Vater gestand. Er drückte mich an sich und sagte lächelnd: »Macht Euch nichts daraus. In diesen Dingen regiert der Kopf. Eure
     Liebe ist anderswo, das ist alles.«
    Jedenfalls ermutigte mich mein Vater gegen diese Trübseligkeiten und Melancholien, weil, wenn ich auch den Glauben an die
     Rückkehr Frau von Lichtenbergs verlor, er unerschütterlich auf sie baute. »Man sieht«, sagte er, »daß Ihr noch nicht wißt,
     was eine liebende Frau ist. Für ihre Liebe würde sie durch Eisen und Feuer gehen.«
    Gott sei Dank, mußte die Gräfin nicht durch Eisen und Feuer, sondern nur durch zwei Grenzen gehen, eine auf Pfälzer und eine
     auf französischer Seite, und das vermittels der Zaubermacht zweier dummer Papiere, deren erstes sie ebensoviele Gesuche gekostet
     hatte wie das zweite Geld. Aber dieses Wunder ereignete sich erst Anfang November, als in Paris wieder Winter und Kälte einzogen,
     im Verein mit ihrem Freund, dem Tod, dem immer die Ärmsten den größten Tribut entrichten.
    Am neunten November, als ich im Champ Fleuri allein mit La Surie zu Mittag aß (mein Vater weilte auf seinem Gut Le Chêne Rogneux
     zu Montfort-l’Amaury), brachte mir ein Bote ein kleines, so knappes wie mich überwältigendes Billett:
     
    Mein Freund,
    ich wäre überglücklich, wenn Sie mich heute um drei Uhr nachmittags in der Rue des Bourbons besuchen könnten.
    Ihre Dienerin
    Ulrike.
     
    Ich wäre ohnmächtig geworden, hätte La Surie, der mich erbleichen sah, mir nicht einen tüchtigen Schluck Wein eingeflößt,
     der mein Gehirn einigermaßen wieder ins Lot brachte. Immerhin dauerte es noch eine Weile, bis ich gänzlich bei Sinnen war.
     La Surie redete, ich hörte nichts. Als der kleine |145| Laufbursche mich erinnerte, daß er auf eine Antwort warte, war ich außerstande zu sprechen. Schließlich legte sich diese Tollheit,
     und ich schrie dem Boten zu: »Sie lautet: ja! Millionenmal ja!« Und ich umarmte ihn und gab ihm für seinen Heimweg ein Goldstück.
     Weshalb La Surie schimpfte, kaum daß der Bursche uns den Rücken kehrte. Ich pfiff drauf, küßte und umarmte auch ihn wie verrückt.
     Dann lief ich davon, hinauf in meine Kammer und warf mich auf’s Bett.
    Die Minuten wurden mir zu Jahrhunderten, die mich von diesem ›drei Uhr nachmittags‹ trennten. Ich starrte auf meine Uhr, als
     hätte mein wilder Blick die Macht, die Zeiger vorwärtszujagen. Dieser Chronometer war ein prunkvolles Geschenk, das Madame
     de Guise mir kürzlich gemacht hatte und das meinem Vater denn doch ›ein bißchen zuviel des Luxus‹ war, denn das Gehäuse war
     auch noch mit Edelsteinen besetzt. Aber ich liebte diese Uhr um der Liebe der Spenderin willen und auch, weil die Kapsel,
     wenn man sie öffnete, innen eine bukolische Szene zeigte, in welcher der Schäfer Céladon die schöne Astrée umarmte, nachdem
     er durch böse Listen so lange und grausam von ihr getrennt war. Dennoch trug ich diese Kostbarkeit, vielleicht von meines
     Vaters Hugenotterei beeinflußt, nicht am Halsband zur Schau, wie es damals Mode war, sondern im Ärmelaufschlag meines Wamses.
     Endlich, als der Augenblick mir gekommen schien, sprang ich vom Bett, machte Toilette, legte mein schönstes Gewand an und
     rief aus dem Fenster zum Hof, man möge mein Pferd satteln und La Barge

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