Königskind
Kirschenmundes
und mit einer sanftmütigen Miene, die nicht |194| trog, weil sie einem leicht lenkbaren Naturell entsprang. Ludwig hatte sie immer geliebt, wobei er sie gerne neckte und den
großen Bruder hervorkehrte. Und seit man ihm den Chevalier de Vendôme geraubt und nach Malta geschickt hatte, war seine Liebe
zu ihr noch gewachsen, so daß er sie, wenn auch nicht täglich, so doch sehr oft besuchte. Als sie ihn eintreten sah, legte
Madame ihre Puppe in eine kleine Wiege, erhob sich und machte ihm einen tiefen Knicks.
»Sire«, sagte sie, »Ihr erweist mir große Ehre, daß Ihr mich besucht.«
Es war ein protokollarischer Satz, von den Lippen des Großkämmerers übernommen. Aber während Madame ihn im singenden Tonfall
einer Schülerin aufsagte, färbten sich ihre Wangen rosig, und ihre Augen belebten sich so, daß sie besser als die einstudierten
Worte ihre helle Freude ausdrückten.
Ludwig ging der kleinen Schwester schwungvoll entgegen, drückte sie an sich und küßte sie mit soviel Wärme, daß ich mich wieder
einmal fragte, ob er vor der Weiblichkeit wirklich soviel Angst hatte.
»Madame«, sagte der König, »wie geht es Euch bei dieser Kälte?«
»Sehr gut, Sire, danke. Und Euch, Sire?«
»Man fragt den König nicht nach seiner Gesundheit«, sagte Ludwig streng. »Man bittet den Himmel, daß es ihm gut gehen möge.«
»Sire, ich bitte den Himmel, es möge Eurer Majestät gut gehen«, sagte Madame, deren naive Augen sich fragten, ob dies ein
Spiel sei oder ein zarter Vorwurf.
»Und wie geht es Eurem Kind, Madame?« fuhr der König in milderem Ton fort. Damit beugte er sich über die Wiege und kitzelte
die Puppe unterm Kinn.
»Seht Ihr, sie lacht«, sagte er.
»Es geht ihr recht gut, Sire«, sagte Madame, »aber sie hat Würmer, und ich denke, wir müssen sie purgieren.«
»Purgiert sie nicht zu oft«, sagte Ludwig, dem allein schon das Wort ›purgieren‹ die Haare zu Berge steigen ließ. »Ma dame «, fuhr er fort, »als Ihr mich das letzte Mal besuchtet, zeigte ich Euch meine Hakenbüchsen und nannte Euch ihren Namen. Warum
habe ich das nach Eurer Meinung getan?«
»Um mich zu belehren«, sagte Madame mit einem Knicks.
|195| »Gut, diesmal will ich Euch zur Belehrung Verse vortragen.«
»Verse, Sire?« fragte Madame und machte große Augen.
»Verse von mir. Ich will Euch Verse aufsagen, die ich gemacht habe. Richtige Verse mit Reim.«
Er zog ein Stück Papier aus seinem Ärmel und las mit wohlartikulierter Stimme, ohne über ein Wort zu stolpern, was aber nichts
Besonderes war: wenn er sang oder etwas aufsagte, stotterte er nie.
Ich sah einst ein Fröschlein,
das spitzte ein Hälmlein,
so hatt es ein Stöcklein.
»Nun, Madame, wie findet Ihr meine Verse?«
»Sire«, fragte sie errötend, »habt Ihr wirklich einen Frosch gesehen, der einen Halm schärfte?«
»Selbstverständlich«, sagte Ludwig, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Aber, Sire«, sagte Madame
,
»wozu brauchte der Frosch denn einen Stock?«
»Er hinkte«, sagte Ludwig.
Hierauf schwieg Madame, weil sie nicht wußte, was sie davon halten sollte.
»Monsieur de Siorac«, wandte sich Ludwig mit einem verschmitzten Blick zu mir um, »wie findet Ihr meine Verse?«
»Sie sind sehr gut, Sire.«
»Habt Ihr gehört, Madame? Monsieur de Siorac findet meine Verse sehr gut. Und Monsieur de Siorac ist ein Born der Weisheit.
Ich will ihn Euch vorstellen, Madame. Bereitet ihm mir zuliebe einen guten Empfang.«
Ich trat vor, neigte ein Knie zu Boden, und Madame hielt mir ihre Patschhand hin, die ich ehrerbietig küßte. Hierauf stellte
Ludwig ihr auch Monsieur de Blainville vor, und das gleiche Zeremoniell lief ab.
»Nun, Madame«, sagte Ludwig, »wie findet Ihr diese Edelmänner?«
»Ich finde sie schön«, sagte Madame begeistert.
»Madame«, sagte Ludwig streng, »eine Dame sagt nicht, daß sie einen Edelmann schön findet. Die Höflichkeit gebietet ihr, lediglich
zu sagen, sie finde ihn ritterlich.«
»Ich finde sie sehr ritterlich«, sagte Madame.
|196| »Schön, und jetzt wollen wir in Eure kleine Küche gehen, und ich lehre Euch, wie man ein Omelette macht.«
»Warum, Sire?« fragte Madame.
»Es ist sehr nützlich im Leben, wenn man ein Omelette machen kann«, sagte der König bestimmt. »Das erste, das ich gemacht
habe, war für Madame de Guise, und es hat ihr sehr gut geschmeckt. Madame«, sagte er, »gebt mir eine Serviette, damit ich
mich vor Spritzern schütze.«
Madame
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