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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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sich aus Angst vor dem Wasser aufgehängt hat. Manche haben niedergekniet und gebetet.»
    Die umstehenden Männer schweigen betroffen.
    «Ich habe mich an einem Wrackteil festgehalten und zugesehen, wie das Schiff untergeht, das Heck zuerst, der Bug ragte senkrecht in den Himmel. Und aus den Bullaugen zischte das Wasser. Keine halbe Stunde hat es gedauert. Ein gewaltiges Fauchen, ein gurgelndes Getöse, und das war’s. Kurze Zeit war das Meer noch aufgewühlt, dann eine schreckliche Ruhe, nur ein sanftes Plätschern war zu hören.
    Bis zum Nachmittag war ich im Meer, dann hat mich die Mannschaft der kanadischen St. Laurent an Bord geholt. Mamma mia , war das kalt! Dazu noch Nebel und Nieselregen. Viele Leichen, schwarz vom Motoröl, das an der Wasseroberfläche trieb, sind an mir vorübergeschwommen, ihre Köpfe angehoben von den Schwimmwesten, grausig war das. Manche, die noch lebten, sind von herunterfallenden Schiffsteilen erschlagen worden. Alte Leute haben einen Herzanfall bekommen. Um mich herum waren Hunderte von Brettern und Holzstücken mit Stacheldraht dran, ich musste höllisch aufpassen. Nach etwa drei Stunden hat uns ein Küstenflugzeug entdeckt. Stundenlang ist es über unseren Köpfen gekreist, vielleicht um uns Mut zu machen, nicht in letzter Minute aufzugeben. Sie warfen auch etwas zu essen in die Rettungsboote ab. Die Kanadier waren großartig. Sie haben uns Rum gegeben und heißen Tee. Ich musste ordentlich kotzen, weil ich so viel Salzwasser und Öl geschluckt hatte. Die Matrosen haben dann Kleidungsstücke aus ihren Seesäcken gezogen und an uns verteilt. Auf der St. Laurent haben wir erfahren, dass unser Schiff kein SOS gesendet hatte und der kanadische Zerstörer erst Stunden nach dem Untergang von London den Befehl erhalten hat, uns zu Hilfe zu kommen. Dabei war er nur anderthalb Stunden von uns entfernt, da hätten noch viele gerettet werden können.»
    «Und nach alldem interniert man euch wieder. Unfassbar!» Das ist Otto.
    «So ist es. Zuerst haben sie uns nach Greenock in Schottland gebracht, gegen halb sieben in der Früh sind wir dort angekommen. Unterwegs sind einige gestorben. In Greenock haben sie die Verletzten ins Spital gebracht. Ich habe mich erst einmal gewaschen, ich war ja von oben bis unten voller Motoröl. Die erste Nacht haben wir in einer zugigen großen Lagerhalle geschlafen, auf dem bloßen Betonboden. Aber sie haben uns wollene Unterwäsche und diese schottischen Uniformen gegeben, mit dem roten Fleck auf dem Rücken, damit man gleich erkennt, dass wir enemy aliens sind und keine echten Schotten. Am nächsten Tag gab es dann Postkarten, die wir an unsere Familien adressieren und unterschreiben sollten. Darauf waren drei Worte getippt: ‹I am safe.› Wir selbst durften nichts dazuschreiben. Ein paar Nächte haben wir in Zelten irgendwo in Schottland verbracht, und jetzt sind wir hier, zweihundert Mann.»
    Noch am Abend der Ankunft der Überlebenden wird ein bewegender Gottesdienst für die Ertrunkenen abgehalten, an dem aus Respekt alle teilnehmen. Die meisten Italiener weinen, und auch so mancher Deutsche und Österreicher kann ein Schluchzen nicht unterdrücken, denn es ist durchgesickert, dass die Behörden einen neuen Transport nach Übersee vorbereiten.
    Bald darauf erhalten die Internierten Fragebögen, in die sie eintragen sollen, ob sie sich freiwillig für eine Schiffsreise in eines der Dominions Seiner Majestät melden. Gemunkelt wird Australien. Erich ist genauso wenig abzuschrecken wie die britische Regierung. Lieber will er die gefährliche Überfahrt riskieren, als weitere Monate untätig die Lagerstraße auf und ab zu schlendern und mit Kommunisten, Sozialdemokraten und Zionisten über den Kriegsverlauf zu spekulieren.
    Die Verheirateten, deren Frauen und Kinder in London und anderswo zurückgeblieben sind, schließen sich zusammen und verfassen eilig eine Petition an das Innenministerium, in der sie anbieten, sich zur Schiffsreise zu melden, vorausgesetzt, man lässt die Familienmitglieder aus England nachkommen. «Nehmen Sie uns nicht das Letzte, das unseren Lebenswillen aufrechterhält», schreiben sie.
    Mit erstaunlicher Eile trifft die Zusage ein. Offensichtlich sind die Behörden angesichts immer neuer Zugänge begierig, sie loszuwerden. Der Kommandant des Lagers verspricht, man werde in Übersee – welches Land das sein würde, lässt er offen – die persönliche Freiheit der Internierten nur geringfügig einschränken und ihnen erlauben, in

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