Königskinder (German Edition)
notwendigen Vorkehrungen innerhalb der nächsten sechs Wochen zu treffen.»
«Könnten diese Internierten nicht zu einem gravierenden Problem werden?», wird Menzies im australischen Parlament gefragt. «Wie problematisch sie auch sein mögen», antwortet er, «in Großbritannien würden sie ein weit größeres Problem darstellen.»
Die britische Öffentlichkeit weiß nichts von der Entscheidung der Regierung, Internierte zu deportieren, bis die BBC am Abend des dritten Juli mitteilt, um sechs Uhr früh des Vortages sei das einstige Linienschiff Arandora Star auf seinem Weg nach Kanada mit 1500 deutschen und italienischen Internierten an Bord von einem Torpedo eines deutschen U-Boots getroffen worden und vor der Westküste Irlands gesunken. Der Bevölkerung wird der Eindruck vermittelt, an Bord hätten sich ausschließlich deutsche Nazis und italienische Faschisten befunden.
Die britische Presse findet bald eine Erklärung für die große Zahl an italienischen Opfern. «Ausländer bekämpfen einander in wilder Panik», titelt der Daily Herald am vierten Juli. Im Kampf zwischen Italienern und Deutschen um einen Platz in einem Rettungsboot seien viele Männer ins Meer gefallen, schreibt die Times tags darauf. «Um sie zu trennen, mussten die englischen Matrosen und Soldaten wertvolle Zeit von ihrer eigentlichen Rettungsarbeit hergeben.»
Vier Überlebende der Katastrophe, Deutsche und Italiener, sind so bestürzt über die Berichte der britischen Presse, die allesamt den Opfern die Schuld für ihren Tod geben, dass sie ein Memorandum verfassen, in dem sie berichten, was sie selbst erlebt haben. Die Behauptung, die deutschen Gefangenen hätten die Italiener von den Rettungsbooten verdrängt, sei unwahr, geben sie zu Protokoll. Die große Zahl an italienischen Todesopfern sei vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Italiener sich im untersten Deck aufhielten und keinen Platz in den Rettungsbooten fanden, als sie es endlich nach oben geschafft hatten.
Die Debatten, die dem Untergang der Arandora Star folgen, offenbaren, dass das Schiff den Hafen ohne militärische Eskorte verlassen hatte und man den Familienangehörigen der Opfer keine Entschädigung zahlen würde, weil es durch Feindberührung gesunken sei. Das britische Kabinett ist vor allem mit der Frage befasst, ob man nach der Katastrophe mit den weiteren, bereits vorbereiteten Transporten nach Kanada fortfahren sollte. Der Vorschlag Sir John Andersons, die Zusammensetzung der zu Verschiffenden genauer zu prüfen, ehe man sie erneut über die Weltmeere schickt, wird als zu zeitaufwendig abgelehnt. So kommt es, dass die Ettrick und die Sobieski wie geplant von Liverpool und Glasgow aus ihre Reise antreten, diesmal mit militärischer Begleitung. Am fünfzehnten Juli haben etwa 6750 deutsche, österreichische und italienische Internierte und Kriegsgefangene Kanada erreicht.
Sehr zur Überraschung der kanadischen Offiziere und Soldaten, die auf eine gefährliche Ladung von Spionen und Saboteuren eingestellt waren, befinden sich unter den Internierten bemerkenswert viele Ärzte, Rechtsanwälte, Pianisten und Talmudgelehrte.
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Am zehnten Juli 1940, einem regnerischen Tag mit bleiernem Himmel und gelegentlichen Donnerschlägen, nimmt Erich Abschied von Europa. Der zehnte Juli markiert auch den Beginn der Luftschlacht um England, des Versuchs der deutschen Luftwaffe, die Kapitulation Großbritanniens zu erzwingen oder, sollten die Briten nicht spuren, die Invasion der Insel vorzubereiten. Doch die etwa fünfhundert Männer, die um die Mittagszeit den Zug besteigen und gegen drei den Pier von Liverpool erreichen, sind von nun an von allen Informationen abgeschnitten.
Viel Zeit, um darüber zu sinnieren, wie es Irka in London, seinem Vater in Wien und den Schwiegereltern in Warschau ergehen mag, hat Erich nicht, denn die Einschiffung der 2500 Internierten, von denen keineswegs alle das Schiff freiwillig besteigen, verläuft chaotisch. Der Stau in der verrußten Abreisehalle aus der Zeit Queen Victorias, der infernalische Lärm von Hunderten Männerstimmen, immer mehr Internierte, die vom Bahnsteig her nachdrängen, und Soldaten, die sich vergeblich bemühen, das Durcheinander zu ordnen. Und zwischen gegenläufigen Kolonnen eingezwängt die lautstarke Begrüßung von Freunden, Verwandten und Kampfgenossen, die einander durch die Internierung in verschiedene Camps aus den Augen verloren und nun für kurze Zeit wiedergefunden haben.
Die
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