Königskinder (German Edition)
einem Beruf ihrer Wahl zu arbeiten. Allen, die noch zögern, sagt er eine großartige Zukunft voraus. Davon träumen Erich und Irka. Nach Australien zu Irkas Schwester und ihrem Schwager würden sie gern auswandern, wenigstens ein Teil der Familie wäre dann wieder beisammen. Erich fasst einen raschen Entschluss und harrt der Dinge, die da kommen mögen.
Die verlockende Aussicht auf Freiheit und Arbeit spricht sich wie ein Lauffeuer im Camp herum, Hunderte Männer melden sich. Die meisten halten Australien für das Reiseziel. Kurt kann sich ohne Nachricht von seinem Sohn nicht dazu durchringen, Europa zu verlassen. Otto will es wagen, Erichs rasche Entscheidung hat ihm Mut gemacht. Nach dem Krieg kann er zu Else zurückkehren oder sie nachkommen lassen, wo immer er sich dann befinden mag. Darüber nachzudenken ist derzeit müßig.
Keine Woche nach der Torpedierung der Arandora Star ist es so weit: Am zehnten Juli soll der 11000-Tonner Dunera in See stechen. Jeder hat Anrecht auf vierzig Kilo Gepäck, zu dem er während der Reise Zugang haben wird, sichert man ihnen zu.
«Wollen die uns frotzeln?», ärgert sich Otto, der wie viele andere nur einen kleinen Koffer mit dem Nötigsten nach Huyton mitgebracht hat.
An jenem Abend ist es auffallend ruhig in den Schlafunterkünften. Alle schreiben Abschiedsbriefe.
Ich habe mich unter der Bedingung, dass Du in kürzester Frist nachkommst, entschlossen, nach Übersee zu gehen, vermutlich nach Australien
schreibt Erich in seiner geschwungenen, schräg nach rechts gestellten Buchhalterschrift. Es ist der erste Brief seit seiner Ankunft im Camp.
Trotz unserer vorherigen Absprache ist mir dieser Entschluss fürchterlich schwergefallen. Hoffentlich wird er unser beider Glück sein. Liebes Kind, es steht uns die härteste Trennung bevor, und ich bitte Dich, nicht zu verzweifeln. Es ist der einzige Weg, der uns vielleicht eine bessere Zukunft verspricht. Ich wäre froh gewesen, wenigstens mit einem Brief von Dir abzufahren, es ist aber leider schon zu spät, da es morgen früh losgeht. Mein liebes, süßes Kind, ich nehme Abschied und küsse Dich viele tausend Mal. Ich hoffe, dass wir uns in wenigen Wochen wiedersehen, vielleicht wird es in zwei oder drei Monaten sein, aber unter glücklicheren Umständen.
Dein Erich
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Während die Internierten auf ihr ungewisses Schicksal warten, entspinnt sich eine rege Korrespondenz auf Regierungsebene: Am fünfzehnten Juni 1940 schreibt der Hochkommissar des Vereinigten Königreichs in Australien, Sir Geoffrey Whiskard, einen als «dringend und geheim» gekennzeichneten Brief an den australischen Premier Robert Gordon Menzies. Die Gesamtzahl von männlichen deutschen Internierten in Großbritannien betrage über zwölftausend, von denen 2500 eindeutig den Nationalsozialisten nahestünden und deshalb eine Gefahrenquelle darstellten, etwa im Fall einer Fallschirmlandung oder einer Invasion. Auch 1500 männliche Italiener, Mitglieder der National-Faschistischen Partei, müssten interniert werden, zusammen mit etwa achthundert anderen männlichen Italienern, die man ebenfalls besser nicht frei herumlaufen lassen sollte. Zudem gebe es bereits dreitausend deutsche Kriegsgefangene, einschließlich deutscher Seeleute, die von gekaperten Schiffen heruntergeholt wurden.
«Der Gewahrsam einer so großen Zahl an gefährlichen oder potenziell gefährlichen Personen bedeutet eine erhebliche Belastung der für deren Internierung verantwortlichen Behörden und bindet eine beträchtliche Menge an militärischem Personal, das für deren Bewachung abgestellt werden muss», schreibt Sir Geoffrey. Es sei deshalb dringend geboten, sie außerhalb des Vereinigten Königreichs zu internieren. Die kanadische Regierung habe sich bereits zur Aufnahme von viertausend Internierten und dreitausend Kriegsgefangenen bereit erklärt. Würde auch Australien welche aufnehmen, und wenn ja, wie viele? Alle für Transport und Lebensunterhalt anfallenden Kosten würden vom Vereinigten Königreich getragen. Eine ähnliche Anfrage wird auch an die Regierung Südafrikas gerichtet.
Am ersten Juli setzt Canberra den Minister für Dominion-Angelegenheiten davon in Kenntnis, Australien sei bereit, sechstausend Internierte und Kriegsgefangene aufzunehmen, und ersucht um genauere Angaben bezüglich der Klassifikation der betroffenen Personen. «Sollten wir diese Angaben für die ersten viertausend Männer umgehend erhalten, wären wir in der Lage, die
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