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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Gefangene und in der ersten Nacht buchstäblich eingekerkert. Für die Notdurft hat man schwarz geteerte Eimer im Raum verteilt, und es dauert nicht lang, bis das Meer sich in der berüchtigt wilden Irischen See belebt und die ersten seekrank werden.
    «Bleibt in den Hängematten liegen und versucht, so wenig wie möglich aufzustehen», mahnt einer, der sich offenbar auskennt. «Solang ihr liegen bleibt, schwingt ihr mit der Bewegung des Schiffes mit.»
    «Hast du was von Hängematten gesagt?», lässt sich eine ärgerliche Stimme vernehmen.
    Nicht jeder konnte eine Hängematte ergattern, und aus Platzmangel ist es selbst manch glücklichem Besitzer nicht gelungen, sie aufzuhängen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf dem Boden oder auf den schmalen Bänken und Tischen einzurichten. Bald füllen sich die Eimer und schwappen über, Erbrochenes, Urin und Exkremente ergießen sich auf den Boden und tränken die Decken jener, die das Pech haben, unten zu liegen.
    Stimmen mit Akzenten aus allen Gegenden Deutschlands und Österreichs flattern durch die Dunkelheit.
    «Willkommen an Bord.»
    «Habt ihr das mitgekriegt? Die Schweine haben die Nazis im Hinterdeck untergebracht. Dort sind sie näher an der frischen Luft und schneller oben, wenn es kracht.»
    «Wisst ihr, was einer der Offiziere gesagt hat? ‹Sollten sich unter euch welche befinden, die die Arandora Star überlebt haben, so kann ich euch beruhigen: Es wird kein zweites Mal vorkommen. Wir haben Vorsorge getroffen, dass niemand hier rauskommt.› Könnt ihr euch das vorstellen?»
    «Das nenn ich britischen Humor.»
    «Das Schiff ist ein schwimmendes Grab. Wir haben nur diese eine enge Treppe – für uns und für die Männer über uns, die früher draußen sind. Und vor der Tür ist Stacheldraht, das habt ihr doch gesehen? Bevor wir ertrinken, spießen wir uns auf. Mit Stacheldraht kenne ich mich aus, erst Sachsenhausen, dann Dachau. Drei volle Jahre. Und jetzt das.»
    «Sie haben nicht einmal Rettungsringe an uns verteilt.»
    «Vergiss es. Wir sind für sie Feinde. Enemy aliens. Kein Hahn wird nach uns krähen, wenn wir hier allesamt absaufen. Sie werden dann in den Zeitungen schreiben, wir hätten selbst Schuld, weil wir übereinander hergefallen sind, anstatt uns geordnet in die Rettungsboote zu begeben. So war’s doch bei der Arandora Star .»
    «Wer von euch noch einmal die Arandora Star erwähnt, kriegt von mir eins auf die Schnauze. Verstanden?» Das ist ein Berliner.
    «Ist ja gut. Was soll’s? Versuchen wir zu schlafen.»
    «Sie haben mein Visum für Amerika ins Meer geschmissen», schluchzt einer, unüberhörbar ein Sachse.
    «Mir haben sie mein Doktordiplom, meine Geburtsurkunde, meine Heiratsurkunde und die Fotos meiner Kinder zerrissen.»
    «Ob ich den Schmuck meiner Großmutter wiederkriege? Es war das Einzige, was mir auf der Welt geblieben ist. Der Offizier will ihn für mich aufbewahren. Hat er gesagt.»
    «In Sachsenhausen haben sie wenigstens alles aufgeschrieben, was sie uns weggenommen haben. Als sie mich entließen, hab ich meine Sachen wiederbekommen.»
    «Ich bin zuckerkrank und hatte zwei Packungen Insulin dabei. Die haben sie mir ins Meer geschmissen, stellt euch das vor!»
    «Mir haben sie die Brille zertrampelt. Jetzt bin ich praktisch blind.»
    «Oh Gott, ist mir schlecht.»
    «Kotz mir nur ja nicht ins Genick.»
    Der Soldat, der die längste Zeit auf der Treppe saß, um jede Bewegung zwischen den Decks zu unterbinden, hat sich verdrückt. Bald hat keiner der Männer mehr Lust, der Aufzählung von Widrigkeiten seine eigenen hinzuzufügen. Apathisch starren die Seekranken zur Decke.
    Erich schließt die Augen und genießt das Schaukeln der Hängematte. Er ist in guter Verfassung, ihm ist kein bisschen schlecht. Und er liebt es zu reisen. Als Kind ist er nie über Windischgarsten hinausgekommen, das malerische Dorf in den oberösterreichischen Bergen, wo seine Großeltern lebten. Nachdem er in seiner Heimat politisch untragbar wurde und seinen Posten als Buchhalter verlor, verdingte er sich als Reiseleiter. Das war zwar eine ungewisse Tätigkeit für wenige Monate im Jahr, machte ihm aber ungeheuren Spaß. Wie viel lieber war er Reiseleiter als Buchhalter. Wenn er in weißer Hose und weißem Hemd braun gebrannt und mit seinen blauen Augen, die vor Lebensfreude blitzten, im Hotel zum Abendessen erschien, lagen ihm die Frauen zu Füßen. Und dann England, wo alles anders war als in Wien, vom Linksverkehr über die

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