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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Höflichkeit der Menschen bis zu den Türknäufen. England gefällt ihm sehr, dort hätte er es noch länger aushalten können. Vor allem die öffentlichen Bibliotheken haben es ihm angetan. In Wien hat er in seiner Freizeit in einer Arbeiterbibliothek gearbeitet. Alle reden von Kanada, wo er doch überzeugt war, es gehe nach Australien. Dafür hat er sich schließlich gemeldet. Irka zuliebe soll es Australien sein. Außerdem ist das am weitesten von der europäischen Hölle entfernt. Nur seinen Vater wird er dann lange nicht sehen, wer weiß, ob er den Krieg überlebt.
    Irka. Zehn Jahre kennen sie einander schon. Die elegante kleine Irka aus Warschau. Warschau, ja, auch dort ist er gewesen. Um zu heiraten. Eine andere Welt, das Haus mit der von zwei Putten flankierten Uhr in der Beletage, der hohe Plafond mit der Stuckrosette, die beleibte christliche Köchin, die das Essen bei Tisch servierte, die Mutter, die perfekt Französisch, Russisch und Deutsch sprach, das edle Geschirr. Er, der Arbeitersohn ohne Matura, der als Kind nie eine Serviette benutzt hatte, machte einen guten Eindruck auf die jüdischen Herrschaften, besonders auf Irkas Mutter, eine feine, gepflegte Dame mit rosiger Haut und weißem Haar. Sie nahm ihn beiseite und riet ihm, nicht zu zögern, Irka eine Ohrfeige zu verpassen, sollte sie sich allzu sehr aufführen. Er weiß bis heute nicht, was sie meinte, bei ihm ist Irka zahm wie ein Lamm. Und ungeheuer zäh. Nur ein wenig nervös ist sie, was man ihr angesichts der Lage nicht verübeln kann. Auch mit dem Schwiegervater hat er sich gut verstanden, ein eleganter Schlawiner mit runder Brille und Schnurrbärtchen, ein Typ, dem Erich vom Naturell her ähnelt. Vielleicht hat sich Irka deshalb in ihn verliebt.
    Ein wenig schuldig fühlt er sich schon, weil er Vorfreude empfindet auf die Reise und auf alles, was ihn drüben erwartet, während die arme Irka allein in London zurückbleibt und sich mit irgendwelchen Jobs in Haushalten durchbringen muss. Dafür ist sie beileibe nicht geschaffen, obwohl sie in England erstaunlicherweise ganz gut kochen gelernt hat. Aber sie wird nachkommen, gewiss. Wie er sie kennt, wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie ist durchsetzungsfähiger als er, eine Kämpfernatur. Drüben werden sie ein neues Leben beginnen, und alles wird gut werden. Vor allem muss er sein Englisch verbessern, vielleicht wird er eines Tages doch noch als Journalist arbeiten können, das ist nämlich sein Traum. Er will nicht ein Leben lang Buchhalter sein. Ob man in seinem Alter eine Fremdsprache noch gut genug erlernen kann, um sich auszudrücken wie ein Einheimischer? Joseph Conrad konnte es.
    Die Männer schnarchen, jeder in seiner Tonlage. Die säuerliche Luft ist ekelhaft, glücklicherweise funktionieren wenigstens die Ventilatoren. Wie spät mag es sein? Die Dreckskerle haben ihm auch die Armbanduhr weggenommen, seine Doxa. Wenigstens den Ehering hat er noch, Otto haben sie auch den gestohlen. Er fällt wegen seiner Größe einfach überall auf. Erich hört, wie Otto sich neben ihm in der Hängematte regt. «Gute Nacht», flüstert er, «interessant wird’s auf jeden Fall.»
    Gleich wird er einschlafen, nichts mehr hören und nichts mehr riechen, köstlich dieser Augenblick kurz davor, selbst unter diesen erschwerten Bedingungen. So müsste man sterben können. Er umschließt in Gedanken Irkas zierlichen Kinderkörper und versucht, alles andere auszublenden, sich nur den Klang ihrer leicht brüchigen Stimme in Erinnerung zu rufen, mit dem harten polnischen Akzent und der falschen Grammatik. Er lächelt.

[zur Inhaltsübersicht]
    8
    Am Morgen müssen sich Freiwillige melden, um das Frühstück aus der Bordküche zu holen, eine Gelegenheit, aus dem stinkenden Unterdeck hinaufzusteigen an die frische Luft. Ein Soldat führt den Trupp der Essenholer über den engen Gang zu einem Einstieg im Vorderschiff und hinunter zum tiefer liegenden Deck, wo sich die Kombüse befindet. Dort treffen sie auf Männer aus dem Deck über ihnen. Informationen werden ausgetauscht. Die deutschen Kriegsgefangenen, berichten die Essenholer bei ihrer Rückkehr, seien Seeleute vom deutschen Handelsschiff Adolf Woermann , die vor Ostafrika in Gefangenschaft geraten waren und wie die anderen Internierten in ein britisches Lager gebracht wurden.
    Nicht allen ist nach Frühstück zumute, sie sind nach der Nacht zu erschöpft, um sich zu rühren. Dem ausgehungerten Erich schmeckt es. Es

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