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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Kopf und murmelt wütende Schmähungen.
    Mit lautem Geschrei zur Eile angetrieben, stolpert nun auch Erichs große Huyton-Gruppe über die Holzplanken des Piers die steile, wippende Gangway hinauf, von allen Seiten bedrängt von Soldaten in nagelneuen Kampfanzügen der britischen Armee. Ein paar haben immer noch erhebliches Gepäck bei sich, von dem sie sich nicht trennen wollten. Immer wieder kommt das Geschiebe zum Stocken, als die Männer die schmale Brücke betreten, die durch eine Eisentür ins Innere des Schiffes führt. Nun ragt das riesige Gefährt noch bedrohlicher über ihren Köpfen. Erich und Otto verlieren sich im Gedränge aus den Augen. Auf dem Pier zurück bleiben einige zerbrochene Brillen.
    Hinter der Tür steht aufgereiht ein Spalier britischer Soldaten, die nicht lange fackeln. Unter Kolbenhieben jagen sie die Internierten auf das Schiffsdeck. Dort werden sie von Soldaten in Empfang genommen, die den Leuten das Gepäck aus der Hand reißen und jeden Einzelnen filzen. Wer sich wehrt, wird getreten und mit Fäusten traktiert. Ein Teil des Gepäcks fliegt gleich ins Meer, wo es aufbricht, sobald es ins Wasser prallt. Dokumente und Kleidungsstücke dümpeln auf der Wasseroberfläche. Ein anderer Teil wird mit dem Bajonett aufgeschlitzt. Alles, was die Männer in Aktentaschen, Rucksäcken und am Körper bei sich tragen, Dinge des täglichen Gebrauchs ebenso wie Dinge, die ihnen besonders wertvoll sind, wird ungeordnet auf einen Haufen geworfen: Handschuhe, Schlafanzüge, Pfeifen, Hausschuhe, Waschbeutel, Feuerzeuge, Schreibutensilien, Bibeln, Gebetsschals und Dokumente. Schmuck, Uhren und Geld kommen in bereitgehaltene Säcke oder verschwinden ungeniert in den Hosentaschen der Soldaten.
    Von Minute zu Minute wächst der Berg leerer Portemonnaies. Wichtige Dokumente – Ausweispapiere und Emigrationsunterlagen, Zeugnisse, Notizbücher und Nansen-Pässe für staatenlose Emigranten, die ein Vermögen gekostet haben – werden ihnen entrissen, zu Boden geworfen oder vor den entsetzten Augen ihrer Besitzer zerfetzt. «Das werdet ihr alles nicht mehr brauchen, ihr Fifth Columnists , nach dem Krieg kommt ihr zurück nach Deutschland», grinst einer der Wachposten.
    Ein älterer Mann mit einem breitkrempigen Hut trägt einen Geigenkasten bei sich. Als sie ihm auch diesen entwenden wollen, umarmt er ihn wie ein Kind und fleht die Posten an, ihm die Violine zu lassen, sie sei wertvoll und gehöre seinem Sohn, der noch in England interniert sei. Er schreit vor Schmerz auf, als ein Gewehrkolben seinen Fuß trifft. Oberstleutnant William Scott, der Kommandant der Eskorttruppe, die sich zum Teil aus Strafgefangenen zusammensetzt, die auf Bewährung freigelassen worden sind, steht mit verschränkten Armen wie Admiral Nelson daneben und beobachtet die Szene mit einem süffisanten Lächeln unter seinem sorgfältig gestutzten Schnauzbärtchen. Als er und sein Adlatus Oberleutnant John O’Neill sich hinreichend amüsiert haben, entreißt O’Neill dem Mann den Geigenkasten und lässt ihn mit blutendem Fuß an Deck humpeln.
    Erich, dem sein Waterman-Füllfederhalter entwendet wurde, ein Geschenk von Irka aus besseren Zeiten, verlangt eine Empfangsbestätigung, schließlich ist er Buchhalter. Der Soldat ist erst einmal sprachlos. Einem britischen Armeeangehörigen müsse man vertrauen, sie seien schließlich keine Nazis, brüllt er dann mit hochrotem Gesicht. Erich beglückwünscht sich insgeheim dazu, seinen Pass rechtzeitig in einen seiner Schuhe geschoben zu haben. Von vorne wurde die Nachricht in der Schlange nach hinten weitergereicht: «Versteckt, was ihr könnt, da vorne sind ganiffs .» Erich hat beobachtet, wie ein Mann neben ihm zwei Pfund in das Futter seiner Krawatte steckt.
    «Na, das fängt ja sauber an», ist Ottos vertrauter Bass zu vernehmen. «Hast du gesehen, wie sie dem Mann das Manuskript ins Meer geworfen haben? Der hat vielleicht Jahre dran gearbeitet. Es hat mir das Herz zerrissen.»
    «Er wird ein neues Buch schreiben», sagt Erich achselzuckend. «Es ist Krieg, da passieren noch ganz andere Dinge. Hauptsache, er ist am Leben.»
    «Ja, aber das sind doch Briten!», protestiert Otto.

[zur Inhaltsübersicht]
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    « Fifth Columnists , Nazischweine, wird’s bald?», rufen die Wachposten und scheuchen die von der rauen Begrüßung benommenen Passagiere mit vorgehaltenen Gewehrläufen nach einem nicht erkennbaren Schema gruppenweise aufs Vorderschiff, aufs Achterdeck und in den vorderen Teil des

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