Königskinder (German Edition)
gibt traditionellen englischen Porridge, eine kleine Tasse Limonensaft und irgendeine Prophylaxe gegen Rachitis. Man isst mit dem Löffel, Gabel und Messer sind verboten.
Den ersten Tag verbringen die Männer damit, das Deck von den Exzessen der Nacht zu reinigen und sich in ihrer neuen Lebenslage zurechtzufinden. Wie in Huyton gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen: aufstehen um 6:15 Uhr, Frühstück um 7, Jause um 16, Abendessen um 19 Uhr, Nachtruhe um 22:15 Uhr. Tagsüber werden die Hängematten zusammengerollt und dienen als Kissen oder Polster gegen die harten Bänke und den Fußboden. Der Raum ist heillos überfüllt. Die Männer lagern, wo sie nur können, auch auf der Treppe; bei einem Angriff, der eine Massenpanik auslösen würde, ein gefährlicher Engpass.
Wer zur Toilette will, muss über seine Leidensgenossen steigen und angesichts des hohen Wellengangs darauf achten, nicht auf sie zu treten. Für insgesamt 1600 Männer stehen etwa zwei Dutzend türlose Toiletten zur Verfügung, deren Spülung einen so kräftigen Schwall erzeugt, dass sich jedes Mal eine Mischung aus Salzwasser und Exkrementen auf Klobrillen und Latrinenboden ergießt. Vor den Toiletten stehen die Männer Schlange, die meisten von ihnen sind seekrank und mahnen zur Eile. Bald bildet sich eine «Toilettenpolizei», die «Der Nächste, bitte!» ruft und das Toilettenpapier verteilt. Pro Tag und Kopf gibt es davon zwei Blatt. Es ist weiß und glatt und eignet sich zum Schreiben und Zeichnen. Manche horten es.
Für das spärliche und schlechte Essen interessieren sich an diesem ersten Tag die wenigsten. Auch ein möglicher Torpedoangriff verliert seinen Schrecken, da die meisten vor allem mit ihrem Magen beschäftigt sind. Das körperliche Unbehagen überdeckt jeden anderen Gedanken. Auch macht sich eine erholsame Resignation breit, da man den Ereignissen letztendlich hilflos ausgeliefert ist. Besser im Atlantik ersaufen als in einem deutschen KZ verrecken, ist die vorherrschende Meinung.
Sobald sich abzeichnet, dass die Engländer nicht die Absicht haben, ihre Lage im schummrigen Dämmerlicht unter Deck zu verbessern, beginnen die Politischen unter ihnen damit, die Gruppe zu organisieren. Als Erstes geht es darum, ihr gestohlenes Eigentum zurückzufordern, insbesondere unentbehrliche Dinge wie Zahnbürste, Seife und Rasierklingen. Drei Mann werden zu Sprechern des zweiten Unterdecks bestimmt – ein Pfarrer, ein jüdischer Rechtsanwalt und Erich, der gut englisch spricht. Ihre Klage über fehlendes Waschzeug bewirkt, dass ein Wachposten mit einem der Säcke voller konfiszierter Sachen herunterkommt und dessen Inhalt auf dem Tisch ausleert. Die Männer kramen nach ihrer persönlichen Habe. Als die Prozedur dem Soldaten zu lange dauert, sammelt er alles wieder ein und entfernt sich wortlos.
Die Stimmung erreicht ihren Tiefpunkt. Kaum einer hat etwas anderes anzuziehen als das, was er am Leib trägt. Schmutz und Gestank gehören nicht zur Alltagserfahrung der meisten an Bord. Wird das die ganze Reise über so weitergehen? Wie kann man leben, ohne sich zu rasieren und die Zähne zu putzen? Wie werden sie die Schiffsfahrt unter diesen beengten Bedingungen überstehen, ohne einander gegenseitig zu zerfleischen?
Ein paar Leute werden an Deck geholt, um beim Sortieren der Koffer zu helfen. «My luggage is over the ocean, my luggage is over the sea, oh bring back, bring back, oh bring back my luggage to me» , singen sie bei ihrer Rückkehr.
«Die machen weiter mit den Plünderungen», berichten sie. «Sie haben die Schlösser der Koffer mit ihren Bajonetten aufgebrochen, Gepäckstücke aufgeschlitzt und sich bedient. Wie bei der Einschiffung. Dokumente, Bücher, Manuskripte und Noten haben sie ins Wasser geschmissen.»
«Und dann auch noch die leeren Koffer.»
Von nun an leben alle, deren Gepäck nicht schon vor ihren Augen ins Meer geworfen wurde, mit der Frage, was sie wohl am Bestimmungsort noch in ihren Koffern vorfinden werden.
Die politisch Organisierten halten Ausschau nach Genossen und versammeln sich, um die Lage zu erörtern. Immerhin können sie in Erfahrung bringen, dass eine Gruppe von 320 Internierten aus dem Camp Lingfield Racecourse, die eigentlich nach Huyton gebracht werden sollten, irrtümlich auf der Dunera mitgekommen sind. Kein Wunder, dass das Schiff überladen ist.
Am Abend des zweiten Tages steht Erich gerade unter der heißen Salzwasserdusche an der offenen Luke, wo man für eine Weile dem Gestank
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