Königskinder (German Edition)
entfliehen und das Gefühl von Sauberkeit genießen kann. Salzwasser ist das Einzige, was es an Bord im Überfluss gibt. Sie befinden sich vor der Nordküste der Irischen See. Plötzlich ist ein lauter Knall zu vernehmen, wie wenn Metall auf Metall schlägt. «Wahrscheinlich werden wir jetzt torpediert», sagt Erich noch scherzhaft zu dem nackten Mann, der neben ihm duscht. Doch da hört er auch schon das Geräusch von zerbrechendem Geschirr und den Ruf «Torpedo!» aus vielen Kehlen.
Erich springt in seine Hose. In seinem Deck herrscht Totenstille. Dann knallt es erneut, diesmal dumpfer, weiter entfernt. Nun erwachen die Männer aus ihrer Schreckstarre und stürzen zur Treppe, eine einzige Treppe nach oben für zwei Decks mit insgesamt etwa achthundert Personen. Ein Berliner Kommunist, ein Schrank von einem Mann, führt eine Gruppe an, die eine lange Sitzbank gegen die verschlossene Tür rammt. Ein Soldat mit Schwimmweste um den Leib öffnet, richtet sein Gewehr auf die Männer und droht zu schießen.
«Shoot nur!», brüllt der Kommunist, «det spielt doch keene Rolle mehr. Wir kommen hier sowieso nich raus.»
«Ihr Schweine!», ruft ein anderer. «Ihr bringt euch selbst in Sicherheit und lasst uns hier unten verrecken.»
Alle schreien durcheinander. Der junge Soldat wirkt verängstigt und kann sich nicht entschließen, tatsächlich zu schießen. Dafür ist vom Hinterdeck ein Schuss zu hören.
Die Männer reagieren unterschiedlich. Ein Religiöser holt sein Gebetbuch hervor und beginnt laut zu beten. Einige Juden tun es ihm gleich. Erich wird von einer eiskalten Gelassenheit erfasst. Er ist ein guter Schwimmer und davon überzeugt, sich im Zweifelsfall retten zu können. Er hat sich eingeprägt, was der junge Südtiroler erzählt hat: schnell vom Schiff wegschwimmen. Otto ist in seiner Nähe, das ist das Wichtigste. Erich beobachtet, was die anderen tun, und nimmt sich vor, später alles genau aufzuschreiben. Einer zuckt resigniert mit den Schultern und klettert in seine Hängematte, wie um sein Ende abzuwarten.
Das Schiff schlägt einen erratischen Kurs ein. Immerhin arbeiten die Motoren, und die Dunera scheint keine Schlagseite zu haben. Auch die Lichter brennen noch. Die All-Clear -Sirene ertönt, und oben an der Treppe erscheint ein Offizier. Er verlangt nach zwei Mann, die sich vergewissern sollen, dass nichts passiert ist.
Alles sei in Ordnung, melden die beiden, der Begleitschutz-Zerstörer habe abgedreht und entferne sich mit Höchstgeschwindigkeit. Heißt das, dass sich die Dunera endgültig außerhalb der Gefahrenzone befindet? Nur die Laskaren, die indischen Matrosen, hätten sich noch nicht beruhigt und liefen herum wie aufgescheuchte Hühner, erzählen die Berichterstatter. Von den Quartieren der Italiener höre man noch vereinzelte «Ave-Marias».
«Dass bei denen die Kacke am Dampfen ist, kann man verstehen», brummt der Berliner.
Niemand hat eine Erklärung, warum das deutsche U-Boot auf die beiden Angriffe keine weiteren folgen lässt. An der gleichen Stelle, wo die Arandora Star untergegangen ist, schlug der erste Torpedo dank eines geschickten Manövers des Kapitäns längsseits gegen den Rumpf des Schiffes, ohne zu explodieren. Der zweite erreichte die Dunera an der Unterseite und schoss unter dem Kiel weg, als das Schiff von einer Welle in die Höhe gehoben wurde. Die bewegte See und der Zickzackkurs des Kapitäns haben sie bewahrt. Flankiert vom Zerstörer, der Wasserbomben abwirft, entfernt sich das Konvoi-Schiff mit den Kindern an Bord eilig von der Dunera .
Warum die U-56 die Dunera nicht weiterverfolgte, wird nie eindeutig geklärt. Nach einer Version vermeint der Kommandant, Oberleutnant Otto Harms, durch sein Periskop Menschen ins Meer springen zu sehen, und vermutet eine Meuterei. Er lässt deshalb keinen weiteren Torpedo abfeuern und schickt nach Einbruch der Dunkelheit Matrosen in Gummibooten hinaus aufs Meer, um etwaige Überlebende einzusammeln. Doch alles, was die Matrosen finden, sind an der Wasseroberfläche treibende Koffer, von denen Harms einige an Bord holen lässt. Sie enthalten unter anderem deutschsprachige Manuskripte und an Internierte in britischen Kriegsgefangenenlagern gerichtete Briefe.
Harms funkt eine Botschaft an alle anderen deutschen U-Boote in dem bevorzugten Angriffsgebiet in der Irischen See und informiert deren Kommandanten über die Kriegsgefangenen an Bord der Dunera ; man solle sie nicht angreifen, sondern vielmehr aus der Gefahrenzone
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