Königskinder (German Edition)
Einige der Internierten haben mir gesagt, sie hätten seit gut sieben Wochen keine Post von ihren Familien erhalten.»
Als Merlins Vater den Brief seinen Kollegen im Außenministerium vorlegte, stellte sich heraus, dass weder das Außen- noch das Innenministerium über die abermalige Verschickung der Überlebenden der Arandora Star unterrichtet worden waren. Die Spur führte zum Inlandsgeheimdienst MI5, der wiederum den Schwarzen Peter sowohl an das Innen- als auch an das Kriegsministerium weiterreichte. Schon während Erichs Internierung in Huyton hatten sich in der britischen Öffentlichkeit Zweifel geregt, ob man mit der Internierung von refugees from Nazi oppression die richtige Methode gewählt habe, sich vor Nazis zu schützen. Just am Tag seiner Einschiffung führte man im britischen Unterhaus eine erregte sechsstündige Debatte über das Thema.
«Es entspricht seit alters her der Politik dieses Landes, Flüchtlingen Asyl zu gewähren», meldete sich der konservative Abgeordnete Major Victor Cazalet zu Wort. «Als Ergebnis des enormen Zustroms an Flüchtlingen in den vergangenen Monaten, verbunden mit der Angst vor einer Invasion und den Aktivitäten einer Fünften Kolonne, ist der Druck in der Öffentlichkeit gewachsen, praktisch jeden zu internieren, dessen Familie nicht seit mindestens hundert Jahren in England lebt, ohne Rücksicht auf den jeweils konkreten Fall – eine gänzlich unenglische Haltung.»
«Welchen Versuch hat die Regierung unternommen, den Eindruck, den die Geschichten in der Presse erweckt haben, zu korrigieren?», fragte der Abgeordnete Wilfrid Roberts. «Meiner Wahrnehmung nach waren das Innenministerium und die Regierung nur allzu bereit, die Zeitungspropaganda und die öffentliche Stimmung als Ausrede zu benutzen, um eine Politik zu verfolgen, die nicht überall im Land auf Zustimmung treffen würde.»
Cazalet forderte die Freilassung aller, deren Loyalität außer Frage stünde, und gab die Schuld an der Verschickung der Internierten auf der Arandora Star dem Vorsitzenden des Innenpolitischen Kabinettsausschusses Neville Chamberlain, der selbst nicht anwesend war, obwohl er von der Debatte hätte unterrichtet sein müssen. Da die Politiker sich auf die Armee herausgeredet hatten, drängten Abgeordnete darauf, die militärischen Gründe für die Inhaftierungen zu erfahren. Doch Innenminister Anderson drückte sich vor einer klaren Antwort: Die Ausländer seien aus Gründen interniert worden, «für die wir nicht verantwortlich sind».
Der Staatssekretär im Kriegsministerium Sir Edward Grigg versuchte wiederum, das Debakel mit der Überforderung seines Ministeriums abzumildern. «Ich möchte hiermit klar festgehalten wissen, dass es nicht Aufgabe der Armee ist, sich um Internierte zu kümmern, und ich hoffe, man wird die Armee binnen Kürze von dieser Aufgabe entbinden.»
Wissentlich oder unwissentlich haben Mitglieder der Regierung das Parlament wiederholt in die Irre geführt. So behauptete der Kriegsminister Sir Anthony Eden am sechzehnten Juli, alle auf der Arandora Star befindlichen Personen seien ausnahmslos italienische Faschisten oder Deutsche der Kategorie A gewesen. Und der Staatssekretär im Innenministerium Osbert Peake zeigt sich noch am dreizehnten August davon überzeugt, alle Internierten, die nach Australien geschickt wurden, hätten sich freiwillig gemeldet; eine eklatante Unwahrheit, die er am zweiundzwanzigsten August wiederholen wird.
Die kontroversen Kabinettsdebatten setzen die Frage der Internierung und Deportation von Flüchtlingen auf die öffentliche Agenda. Neville Chamberlain ist «äußerst beunruhigt» über die «große Zahl an Beschwerden». Da er seinerzeit auf Churchills Anweisung die Internierungen und Ausschaffungen entschlossen vorantrieb, erweist sich sein Meinungsumschwung als bahnbrechend. Das Kabinett beschließt, das interne Management der Lager dem Kriegsministerium zu entziehen und dem Innenministerium anzuvertrauen.
Insgesamt dauert die Internierung von Männern der Kategorie C, die am fünfundzwanzigsten Juni einsetzte, nur drei Wochen und endet ebenso plötzlich, wie sie begann. Drei Weißpapiere regeln die Freilassung aller Internierten in Großbritannien, die bekanntermaßen den gegenwärtigen Regimes in Deutschland und Italien feindlich eingestellt sind oder deren fortgesetzte Internierung aus anderen hinreichenden Gründen nicht wünschenswert erscheint. So kommt die Zahl der Internierten bei der Marke 27200 zum Stillstand,
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