Königskinder (German Edition)
welche besitzen, oder eben mit Schnüren zusammenhalten müssen.
« Bedraggled sagt man im Englischen für zernepft», gibt Erich ein Wort zum Besten, das er vor kurzem bei einem Englischlehrer aufgeschnappt hat.
Zwei Tage liegt das Schiff im wie tot wirkenden Hafen von Takoradi vor Anker, während Öl und Trinkwasser von Arbeitern an Bord geschleppt werden. Keiner der Internierten darf ans Oberdeck.
Kaum jemand bemerkt, dass sie kurz nach Auslaufen aus Takoradi inmitten eines tropischen Regensturms den Äquator überqueren. Allmählich beginnen sich die an Durchfall Erkrankten zu erholen, und die Temperaturen werden wieder erträglicher.
Zehn Tage später steuert das schwimmende Gefängnis Kapstadt an. Alle werden an Deck getrieben, jüdische Emigranten und getreue Nazis mischen sich. Die Internierten, die im Achterdeck untergebracht sind, hatten bereits mehrfach Kontakt zu den deutschen Seeleuten, was den Vorteil hatte, dass sie schon frühzeitig den Kurs kannten, den das Schiff einschlug. Sie hatten dabei Gelegenheit, ihre Vorurteile zu korrigieren, denn keineswegs alle Kriegsgefangenen sind Nazis. Nur wenn sich ihr selbsternannter «Führer», ein zackiger Gestapospitzel, nähert, wird die Stimmung zwischen den beiden Gruppen feindselig. Ansonsten schweißt sie das gemeinsame Schicksal zusammen, ob sie wollen oder nicht. Bewacht von bewaffneten Soldaten, warten sie nun darauf, dass ein halbnackter, stämmiger Italiener ihnen mit einer Haarschneidemaschine das Kopfhaar kürzt und die Bärte trimmt. Erwartet man eine Inspektion, oder soll hier gar die Reise zu Ende gehen? Von Südafrika war zwar nie die Rede, aber warum nicht? Liegt Kapstadt nicht am Kap der Guten Hoffnung?
Riesige Albatrosse mit schwarz geränderten Flügeln von enormer Spannweite begleiten das Schiff in den Hafen. Erich ist enttäuscht, denn der berühmte Tafelberg ist in Dunst gehüllt, doch am nächsten Morgen entfaltet er seine volle Pracht und sieht nun genauso aus wie im Geographiebuch aus seiner Schulzeit – flach wie ein mächtiger Tisch. Während das Schiff in Kapstadt vor Anker liegt, wird die Sehnsucht nach festem Boden unter den Füßen zu einem ziehenden Schmerz. Schiffe werden ent- und beladen. Kräne drehen sich, LKWs fahren hin und her, Stimmengewirr dringt vom Hafen herüber. Eine Großstadt mit Häusern, Autos, Kinos, Restaurants. Wie lang ist das her. Nachts liegt Kapstadt hell erleuchtet da, und die glitzernden Lichter spiegeln sich im schwarzen Wasser. Die Männer können sich nicht sattsehen.
Die Matrosen gehen an Land und kehren betrunken zurück. Dann geht man ihnen besser aus dem Weg, aber generell ist die nichtmilitärische Besatzung umgänglicher als die von Scott und O’Neill angeführte Truppe Halbkrimineller. So mancher Matrose steckt ihnen ein Stück Brot oder eine Zigarette zu, wenn kein Posten in Sicht ist. In Kapstadt gelingt es, ein Mannschaftsmitglied zu überreden, eine Zeitung an Bord zu schmuggeln. Von seiner Hängematte aus trägt Arthur aus der Zeitung vor und kommentiert die Ereignisse. So viel weiß man nun: Es tobt eine Luftschlacht um England. Eine bedrückte Stimmung macht sich breit, viele haben Angehörige und Freunde in England. Erich macht sich Sorgen um Irka.
In Kapstadt wird der Gestapospitzel zusammen mit einem Afrikadeutschen vom Schiff geholt. Er verabschiedet sich von seinen Kameraden mit dem Hitlergruß. Im Austausch gegen einen englischen Diplomaten werden die beiden in die Heimat repatriiert, heißt es, mehr ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die Männer schütteln den Kopf. Ungerecht ist es schon, dass ausgerechnet der in die Freiheit entlassen wird, aber wer will andererseits schon nach Deutschland überführt werden?
Am späten Nachmittag des zweiten Tages läuft die Dunera aus dem Hafen von Kapstadt aus und umschifft den felsigen Südzipfel Afrikas. Vor ihnen liegt die Überquerung des ehrfurchtgebietenden Indischen Ozeans.
Eines Nachts rüttelt Geschrei und ein scharfer Rauchgeruch die Männer aus dem Schlaf. Jemand hatte ein Handtuch über eine der Notlampen gehängt. Der diensthabende Wachposten verständigt den Offizier, und die ganze Angelegenheit wird als bösartiger Versuch gedeutet, das Schiff in Brand zu setzen. Der Mann, den man für verantwortlich hält – er hat am nächsten zur Lampe gelegen –, wird unverzüglich in den Bunker gebracht. Nachdem es ihm gelungen ist, den Kommandanten davon zu überzeugen, dass es ein Unfall war, darf er am nächsten Tag in
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