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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Darmkolik. Die Reise scheint kein Ende zu nehmen. Die Leute rezitieren Gedichte und Balladen, um sich die Zeit zu vertreiben. Ein Schauspieler sagt auswendig Schillers «Glocke» auf, Erich hört gern zu, es ist eine gute Gelegenheit, seine Kenntnisse in deutscher Literatur aufzufrischen.
    Den Männern wird erlaubt, in der Nähe der Öffnungen zu den langen Korridoren zu sitzen, die frische Meeresluft zu atmen und den gegen die Bordwand schlagenden Wellen zuzusehen. Sie dürfen nun fallweise auch andere Teile des Schiffes besuchen und machen Bekanntschaft mit den disziplinierten deutschen Kriegsgefangenen, die jede Konfrontation mit den Juden meiden.
    Am Morgen des siebenundzwanzigsten Juli nähert sich die Dunera rötlicher Erde und einem ins Wasser ragenden Pier mit Palmen im Hintergrund. Es nieselt und ist plötzlich kalt. Die schwarzen Hafenarbeiter sind in Regenplanen gehüllt. «Takoradi» steht auf einem Schild an der Anlegestelle. Und dann geschieht ein Wunder: Die Wachposten öffnen zum ersten Mal die Klappen der Bullaugen, und Seeluft strömt in die stickigen Unterdecks. Alles stürzt zu den Luken. Zu sehen gibt es nicht viel. Takoradi. Die Männer sehen einander ratlos an. «Britische Kronkolonie Goldküste, Westafrika», verkündet einer trocken. Doch man merkt, dass er darauf brennt, mehr seines Wissens zum Besten zu geben.
    «Habt ihr gewusst, dass Groß Friedrichsburg in Princess Town im siebzehnten Jahrhundert eine kurbrandenburgische Festung war? Ein kurzes koloniales Intermezzo der Preußen.»
    Der Augenblick des Historikers ist gekommen. Als Arthur Ascher in Liverpool das Schiff bestieg, war er ein penibel gekleideter Akademiker, mit sorgfältig gescheiteltem Haar, das er mit Brillantine in Form hielt. Er trug nach englischer Art eine braun-grün karierte Krawatte, ein Tweedsakko und eine Hose mit Bügelfalten. Da er wie Erich und Otto aus Wien stammt, haben sich die beiden mit ihm angefreundet, das heimische Wienerisch tut ihren Ohren und ihrer Seele wohl. Zum Zeitpunkt der Landung in Takoradi sieht der akkurate Arthur ein wenig «zernepft» aus, wie ihn seine Freunde necken. Seine schlotternde Hose hält er mit einer Schnur um die Taille fest, und in Ermangelung der Brillantine, die ihm die Soldaten zusammen mit seiner sonstigen Habe abgenommen haben, stehen ihm seine spröden Haare wild zu Berge.
    «Hier haben sich die europäischen Mächte in einer Dichte Forts gebaut wie in keiner anderen Region Afrikas», doziert er, sichtlich zufrieden, sich endlich einbringen zu können. «Portugiesen, Holländer, Schweden, Dänen, Brandenburger, alle waren sie da. Und die Engländer sowieso. Dicht an dicht standen die Festungen an der Küste.»
    «Und wieso? Was gibt’s hier?»
    «Gold, mein Süßer, Gold! Wie der Name Goldküste schon sagt. Bis zur Erschließung der kalifornischen Goldfelder im neunzehnten Jahrhundert war die Goldküste einer der großen Goldproduzenten der Welt. Gold, Kakao, Edelhölzer. Wenn bei euch zu Hause ein Mahagonitisch stand, dann kam das Holz garantiert von der Goldküste.»
    «Mein Vater war Feuerwehrmann», brummt Erich klassenbewusst. «Da gab’s keine Mahagonitische.»
    «Ich wäre froh, wir hätten keinen gehabt. Sollen die Nazischweine daran ersticken. Schon allein der Gedanke, eine SA-Familie sitzt jetzt um unseren Esstisch, verursacht mir Übelkeit. Die haben in der Reichskristallnacht gleich gesehen, dass es bei uns was zu holen gibt.»
    «Ach, Arthur», versucht Otto zu besänftigen. «Das ist eine halbe Weltreise her. Denk nicht mehr dran. Wir sind in Takoradi! Hättest du gedacht, dass du jemals hierherkommen würdest?»
    «Wie gern würde ich aussteigen. Wunderbare Strände soll’s hier geben. Ich würde mir auch gern die Forts ansehen, die bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als Stützpunkte für den Sklavenhandel dienten. Sie sollen sehr eindrucksvoll sein.»
    «Ein düsteres Kapitel unserer europäischen Zivilisation», bemerkt Erich. «Und wir regen uns über die Nazis auf.»
    «Unsere Bewacher haben sich noch etwas vom alten Geist der britischen Sklavenhändler erhalten», sagt Otto. «Vielleicht werden wir in Australien verkauft.»
    «Schau uns an! Wer würde uns schon kaufen?»
    In der Tat sehen die Männer mittlerweile recht gefährlich aus mit ihren hohlen, unrasierten Wangen, manche von Schorf überzogen, den zerfetzten Hemden und vor Schmutz starrenden Schuhen. Wie Arthur haben viele so stark abgenommen, dass sie ihre Hosen mit Gürteln, falls sie

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