Königskinder (German Edition)
anderen Gründen geheiratet – wie hätten wir sonst zusammenbleiben können?»
«Niemand macht dir einen Vorwurf, Irka. Natürlich musstet ihr heiraten. Stell dir vor, du wärst jetzt in Polen. Du solltest halt schauen, dass du nicht in ökonomische Abhängigkeit gerätst. Bebel hat sein Buch über die Frau und den Sozialismus Ende des letzten Jahrhunderts geschrieben. Heute sind wir viel weiter. Sogar das Wahlrecht haben wir! Und du bist gebildet, hast Matura – Erich, soweit ich weiß, nicht – und eine gute Berufsausbildung, was kann da passieren?»
«Schmuck! Wer will heutzutage schon Schmuck? Das ist was für Friedenszeiten.»
«Während der Weltwirtschaftskrise war Schmuck die einzig sichere Geldanlage.»
«Ja, aber nicht meiner! Bei meinem Schmuck zählt nicht der Goldwert, sondern die künstlerische Qualität. Vielleicht hast du aber recht, vielleicht wird meine Ausbildung zur Goldschmiedin eines Tages unsere Rettung sein. Ursprünglich wollte ich Künstlerin werden, Malerin, aber dazu hat mein Talent leider nicht gereicht. Also bin ich Handwerkerin geworden. Aber was soll’s, wer weiß, wozu’s gut ist. Ich habe auch Modezeichnen und Textildesign gelernt.»
«Also bitte! Momentan sind wir alle arbeitslos. Ein künstlerischer oder handwerklicher Beruf hat den Vorteil, sprachunabhängig zu sein. Du könntest auch in Brasilien oder Kolumbien arbeiten. Am schwersten haben es heutzutage die Rechtsanwälte. Wer braucht schon in Palästina einen Wiener Rechtsanwalt? Vor denen es dort außerdem nur so wimmelt.»
«Hör mir auf mit Palästina und den Zionisten! Ach, Käthe, was hatten wir nur für Träume. Sozialismus. Eine freie Gesellschaft. Eine freie Welt. Gerechtigkeit. Gleichberechtigung. Gleicher Zugang zu Bildung und Kultur. Das Ende des Kolonialismus. Das Ende von Antisemitismus und Rassismus. Freie Liebe ohne die Zwänge von Kirche und Staat. Es schien alles in greifbarer Nähe. Was waren wir nur für Phantasten! Und ich erst! So stolz war ich, als ich Österreicherin wurde. Stolz trotz aller negativen Erfahrungen, stolz, nun ein Teil von Erichs Vaterland zu sein, das ich mitgestalten wollte. Und dann redeten wir uns auch noch ein, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter Schuschnigg stand und Hitler es nicht wagen würde. Und wie selig war ich dann, als ich an der belgischen Grenze die Putzfrauen gehört habe. Französisch! Ich habe sie umarmt und abgebusselt. Und dann England. Sicherheit. Hitler würde es nicht wagen. Jetzt ducken wir uns vor seinen Bomben. Und Erich ist in Australien. Zehntausend Meilen weit weg. Und ich bin hier und warte. Warte. Warte auf ein Schiff, das vielleicht nie abfährt.»
«Wir leben alle auf Abruf. Es ist eine schreckliche Zeit, aber danach wird es besser. Bestimmt. Wir werden siegen. Gestern hat die Royal Air Force mehr als fünfzig deutsche Flugzeuge abgeschossen. Und nach dem Krieg bauen wir eine neue Welt auf. Vielleicht muss sie ja erst zusammenbrechen, um wiederaufgebaut zu werden. Vielleicht wartet die Welt genau darauf. Sei froh, dass Erich in Australien ist. Dort ist er sicher. Er muss weder zur Wehrmacht noch in ein Gestapogefängnis. Wie viele Männer wären froh, in seiner Lage zu sein. Und ihre Frauen erst. Du weißt immerhin, wo er sich befindet, das können nicht alle Frauen von ihren Männern sagen.»
«Du hast recht. Ich bin egoistisch. Dafür schäme ich mich auch. Ich bin ja froh, dass er in Sicherheit ist. Dass er diese endlose und gefährliche Reise überstanden hat. Aber er fehlt mir so!»
Die Sirene heult. Das Gespräch bricht ab. Sie verharren reglos und warten. Als das Dröhnen über ihren Köpfen einsetzt, ducken sie sich, ziehen in einer sinnlosen körperlichen Abwehr die Schultern ein und blicken nach oben. Nebenan im Park knallen die Kanonen und erzeugen ein Zittern im Bauch. Manchmal klingt es, als stünden sie direkt vor dem Fenster, dann wieder scheinen sie weit entfernt zu sein. Irgendwo in der Nähe schlägt eine Bombe ein. Feuerwehrmänner rufen einander zu. Dann heult die Sirene wieder. Über ihren Köpfen das malmende Geräusch der Flugzeuge und kurz darauf das Kreischen der Bomben. So geht es die ganze Nacht. Es gibt zwar einen Keller, in dem sich die Hausbewohner zusammenpferchen, aber Irka und Käthe haben beschlossen, oben zu bleiben, sie wollen sich die feindseligen Blicke der englischen Nachbarn ersparen. Als ob sie etwas dafür könnten, dass seit Anfang Juli sogar der Tee rationiert ist.
So sitzen sie zusammen und
Weitere Kostenlose Bücher