Königskinder (German Edition)
Das Publikum erhebt sich von den Sitzen und verharrt reglos, bis der letzte Ton verklungen ist. Es herrscht ein wärmendes Gefühl von Zusammengehörigkeit.
Sorgsam setzen die Frauen auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause einen Schritt vor den anderen.
«Das Buch endet weniger optimistisch», sagt Käthe. «Dort bricht die Familie am Ende vollkommen zusammen. Twentieth Century Fox hat dem Film eine zukunftsfrohe Botschaft gegeben. So muss es wohl sein für den amerikanischen Markt. Hauptsache, Steinbecks sozialistische Haltung wird verwischt.»
«Aber genau dieses optimistische Ende ist doch sozialistisch: Nicht aufgeben, weiterkämpfen, es geht voran, wir sind das Volk», widerspricht Irka. «So wie die Dinge stehen, kann ich allerdings an solche optimistischen messages nicht glauben. Ich finde es erstaunlich, dass dieser Film überhaupt gedreht werden konnte.»
«Ich bin froh über den Schlusssatz. ‹Sie können uns nicht unterkriegen.› Wann, wenn nicht jetzt, brauchen wir das?», sagt Lizzi. «Und es stimmt auch. Ist es nicht unglaublich, wie das ganze Publikum sitzen geblieben ist, obwohl die Sirenen geheult haben? Die Engländer sind großartig. Ich liebe sie.»
«Das spricht auch für die Qualität des Films», sagt Dora. «Er war in dem Augenblick wichtiger als alles andere. Wichtiger als das eigene Leben. Eine solche Wirkung hat nur große Kunst.»
«Lies das, Käthe. Ist das nicht unglaublich!»
Irka und Käthe sitzen hinter verdunkelten Fenstern vor dem offenen Kamin und lesen. Das Knistern der Flammen täuscht eine Atmosphäre häuslicher Gemütlichkeit vor, die vorübergehend vergessen lässt, dass draußen ganz andere Flammen züngeln. Dr. Pollak hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Irka reicht Käthe Shaws «Wegweiser für die intelligente Frau zum Sozialismus und Kapitalismus», in dem sie einen Absatz angestrichen hat. Sie liest jetzt viel in Büchern, die Erich wichtig sind, dabei fühlt sie sich ihm näher. Was Shaw über die Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu sagen hat, muss sie unbedingt mit Käthe teilen. «Der Arbeitsmarkt ist überschwemmt mit Frauen und Töchtern, die teilweise vom Vater unterstützt werden und daher bereit sind, für ein Taschengeld zu arbeiten, von dem eine unabhängige, alleinstehende Frau oder Witwe niemals leben könnte. Die Auswirkung ist, dass man das Heiraten zum eigentlichen Beruf der Frau macht: Sie muss jeden nehmen, der sie heiraten will, um nicht dem Hungerdasein der alleinstehenden Frau ausgeliefert zu sein. Einige Frauen finden leicht einen Mann, aber andere, die weniger attraktiv oder liebenswert sind, müssen alle erdenklichen Tricks und Strategien herausfinden, um nur irgendeinen Mann in die Ehefalle zu locken. Und diese Tricks sind nicht gut für die Selbstachtung der Frau. Auch führt es nicht zu einer glücklichen Ehe, wenn der Mann merkt, dass er nur herhalten musste.»
«Ja, das sagen auch Bebel und Engels», sagt Käthe. «Bebel spricht von der Prostitution als notwendiger sozialer Institution für die bürgerliche Gesellschaft – ebenso wie Polizei, Heer, Kirche und Unternehmerschaft. Entweder die Frau findet mit Hilfe von ‹Tricks› einen Ehemann, oder sie bessert ihr Einkommen mit Prostitution auf. Also ist die Befreiung der Frau untrennbarer Bestandteil des Kampfes um die Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus. Im Kapitalismus wird die Frau doppelt ausgebeutet: vom Kapitalisten und vom Ehemann, für den sie kostenlose Hausarbeit leistet. Die Frau muss also auch von den Fesseln der Ehe befreit werden. Im Sozialismus hat die Ehe ihre Existenzberechtigung verloren. Wenn ihre Arbeit einen anständigen Preis erzielt, braucht die Frau nicht zu heiraten. Shaw hat recht: Die Ehe, die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruht, kann die Liebe nur zerstören. Ich werde nie heiraten, schon aus Prinzip nicht.»
«Ich hoffe, Erich sieht sich nicht in der ‹Ehefalle›. Wenn er mich ärgern will, zitiert er immer Shaw und dessen Haltung zur Ehe. Ich frage mich, warum ihm gerade dieser Aspekt von Shaws Theorien so wichtig ist. Aber ich selbst wollte ja auch nie heiraten. Ich sehe, wie ungleich meine Eltern sind. Meine Mutter ist die Gebildete, aber mein Vater bringt das Geld nach Haus. Und gestattet sich dann entsprechende Freiheiten, ab und zu ein Gspusi. Und an meiner Schwester Ludka hat er auch immer herumgefummelt. Meine Mutter schweigt, weil sie die Ehe erhalten will, erhalten muss. Aber Erich und ich haben aus
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