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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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wird er tatsächlich mit einer Tätigkeit beauftragt. Jeder Brief, der im Lager geschrieben wird, muss von der Militärzensur genehmigt werden. Tag für Tag werden Absender und Empfänger in eine Liste eingetragen. Die Aufgabe von Max ist es, in der außerhalb des Stacheldrahtzauns gelegenen Kommandantur unter Aufsicht eines australischen Soldaten einem älteren Internierten Namen und Anschriften in die Schreibmaschine zu diktieren. Damit ist er täglich mehrere Stunden beschäftigt und bekommt vom Lageralltag wenig mit. Nur abends, wenn das Hüttenvaterparlament tagt, rafft er sich auf, unter Leute zu gehen, um sich ein wenig zu amüsieren.
    Nach einiger Zeit sprechen sich die Fähigkeiten des jungen Kalligraphen herum. Da die wenigsten sich einen Luftpostbrief leisten können, schreiben sie Postkarten, und da auf eine Postkarte nicht viel Text passt und Max diese schöne feine Handschrift hat, diktieren sie ihm ihre Briefe. Max lacht sich ins Fäustchen, wenn er an die Mühe des Zensors denkt, seine winzigen Lettern zu entziffern. Wer kann, spendiert ihm für diese Dienstleistung ein Eis oder eine Tafel Schokolade.
    Erich braucht die Dienste von Max nicht in Anspruch zu nehmen, denn er hat selbst eine elegante winzige Handschrift, mit der er eine Menge Text auf eine Postkarte quetschen kann, die auf dem – für ihn erschwinglichen – Landweg bis zu drei Monate unterwegs sein wird. Den Internierten ist es mittlerweile gestattet, wöchentlich zwei Briefe von jeweils zwei Seiten zu schreiben. Wegen der Zensur kann Erich sich über sein Leben im Lager nur allgemein äußern.
Camp 8, Hut 18, Hay, 5. Oktober 1940
Meine liebste Irka, danke für Deine Luftpostkarte. Diese Karte erreicht Dich hoffentlich nicht mehr, weil sich Deine Pläne in der Zwischenzeit verwirklicht haben. Die Unsicherheit über Deinen Aufenthalt macht mich verrückt, und ich warte und warte auf eine kleine positive Nachricht. Du hast nun die Aufgabe, diese Prüfung zu bestehen, denn ohne Dich hätte das Leben für mich keinen Sinn!
Wir sind am 6. September nach einer beschwerlichen Überfahrt angekommen. Jetzt sind wir in einem Camp, wo wir gut behandelt und ernährt werden, aber wir erwarten ziemlich heiße Weihnachten. Das Leben ist monoton, die Nächte sind kalt, die Tage heiß. Doch meine einzige Klage ist, dass Du so weit weg bist von mir. Viele hier bekommen Luftpostbriefe und Telegramme, aber ich kann das nicht von Dir verlangen, weil ich mir große Sorgen um Deine finanzielle Lage mache. Inmitten all der Menschen fühle ich mich schrecklich einsam und denke hundertmal am Tag an unser gemeinsames Leben in der Vergangenheit. Ich wohne in einer Hütte mit den Baswitz-Brüdern.
Dein Erich
    Zur gleichen Zeit schreibt Irka aus Welwyn Garden City, wo sie seit kurzem wohnt.
7. Oktober 1940
Mein liebster Junge, ich schreibe Dir wieder regelmäßig einmal die Woche, damit Dich wenigstens manche meiner Briefe erreichen. Ich sehne mich so sehr nach einem Brief von Dir, damit Du für mich nicht wie ein Schatten bist, eine Erinnerung bloß. Diese Trennung ist schwer, ohne Briefe, die Erleichterung verschaffen, ohne die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Seit zwei Monaten warte ich auf diesen berühmten australischen Transport, habe daher keine Arbeit gesucht und befinde mich momentan in einer sehr unangenehmen Lage. Man hält uns weiter in Unsicherheit.
Jetzt suche ich doch einen Job, aber es ist schwer, denn nach London will ich nicht zurück. Niemand will mehr dorthin. Vorläufig wohne ich in einem kleinen, sehr hübschen Ort (in Friedenszeiten) nicht weit von London, bei einer Dame, die mich aufgenommen hat. Hier ist es einsam und traurig, aber ein bisschen weniger aufregend als in London, zumindest am Tage. Die Nächte sind ebenfalls ruhiger, aber dennoch lang und ermüdend, mit wenig Schlaf. Gefährlich ist es auch, weil es hier kein shelter gibt. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, male ich mir unser Wiedersehen aus, um dann am Morgen die Wirklichkeit umso erbärmlicher zu erleben. Das Leben ist jetzt wie Roulette, die Kugel bleibt irgendwo stehen, und wenn das gerade über meinem Kopf passiert, dann ist alles vorbei. Wenn Du bei mir wärst, hätte ich nicht so viel Angst, ich könnte meinen Kopf in Deine Arme vergraben und vergessen, dass der Tod über den Himmel saust. Verzeih mir, dass ich so traurig schreibe, Du hast es ja auch nicht leicht.
Ich tippe auf der Schreibmaschine, die für Dich bestimmt ist. Was für eine Freude hatte ich,

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