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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Dein Brief vom 29. Oktober hat mich etwas aufgemuntert. Sollte es keine Möglichkeit für Dich geben, hierherzukommen, will ich lieber die Rückreise antreten. Man redet viel über Entlassung, und ein Beamter des Home Office soll kommen, um unsere Lage zu sondieren. Vielen Dank für die 3 Pfund. Du sollst mir kein Geld schicken, du brauchst es dringender als ich. Ich schreibe fast jede Woche und frage mich, ob die Briefe Dich auch erreichen.
Hier ist es sehr heiß, aber ich kann die 43 Grad, die wir unlängst hatten, gut vertragen. Darling, ich bin sicher, unsere Trennung wird unserer Liebe und Freundschaft nichts anhaben. Mach Dir bitte nicht zu viele Sorgen und bleib munter, bis wir uns wiedersehen und ein neues Leben beginnt. Daran denke ich den ganzen Tag.
Dein Eric
    Wegen der Hitze schenkt der Sergeant Major seinen Internierten einen Ausflug an den Murrumbidgee, einem Nebenfluss des mächtigen Murray River, der den gesamten Süden des Kontinents durchquert. Für die meisten ist es die erste Gelegenheit, die Welt außerhalb des Stacheldrahtzauns zu erleben. Sie werden von einem Schwarm weißer Kakadus mit gelben Kämmen begrüßt, der kreischend über ihre Köpfe hinwegfliegt. Während die anderen Jugendlichen glücklich im Wasser lärmen und sich gegenseitig nass spritzen, liegt Max verträumt auf dem Rücken. Durch die silbernen Blätter der Gummibäume glitzert die Sonne. Unter einem Baum liegen, von Blättern gefiltertes Sonnenlicht, das Wechselspiel von Licht und Schatten, wie lang ist es her, seit er dergleichen erlebt hat. Otto wirft ihm einen besorgten Blick zu. Der Junge ist zu still. Oft schon hat er ihn dabei beobachtet, wie er abends am Zaun entlang seine Runden dreht wie ein Raubtier im Käfig, immer und immer wieder ums Camp herum. Otto setzt sich neben ihn.
    «Weißt du, dass diese roten Flussgummibäume ‹Witwenmacher› genannt werden? Ihre Äste haben die Eigenschaft, ohne Vorwarnung abzubrechen. Das hat mir einer der Wachen erzählt. Also gib acht.»
    Max reagiert nicht.
    «Max, erzähl mir, was los ist.»
    «Nichts. Alles in Ordnung. Ich hab nur keine Lust zu schwimmen.»
    «Es ist mehr, man sieht’s dir an. Los, lass es raus.»
    Max lächelt traurig und blinzelt in die Blätter.
    «Bestimmt fehlt dir ein Mädchen. Uns allen fehlen die Mädchen. Nur unter Männern zu sein ist nicht lustig. Ich weiß schon lange nichts mehr von meiner Frau. Nicht einmal, ob sie noch am Leben ist.»
    «Nein, nein, das ist es bestimmt nicht.» Max schweigt. Dann heftig: «Hast du mitgekriegt, wie die kommunistischen Jungs aus Hütte 28 den grauhaarigen Homo verprügelt haben?»
    «Nein. Wieso? Was hat er ihnen getan?»
    «Angeblich hat er sich an einen von ihnen herangemacht. Kann ja sein, ich glaube aber eher, dass sie ihn nicht leiden mögen, weil er nicht so ist wie sie. Weil er sich nichts aus Frauen macht.»
    «Sich was aus Frauen zu machen ist hier eine einigermaßen sinnlose Angelegenheit. Ich beneide jeden, der eine andere Option hat.»
    Max errötet. «Ich tu’s nicht.»
    «Glückwunsch!»
    «Aber es ist schwer.»
    «Was ist schwer?»
    «Kennst du Simon?»
    «Den Burschen mit den grünen Augen? Hübscher Knabe.»
    «Er liest Gedichte.»
    «Ja, und?»
    «Sonst nichts. Er liest Gedichte. Das ist mir aufgefallen. Und er spielt nicht Fußball.»
    «Das ehrt ihn.»
    «Ich mag ihn.»
    «Wunderbar! Hast du’s ihm gesagt?»
    «Nein. Trau ich mich nicht.»
    «Du bist ja auch den ganzen Tag außerhalb des Lagers. Habt ihr überhaupt schon miteinander geredet?»
    «Nein, ich renne immer davon, wenn ich ihn sehe.»
    «Hm.»
    «Ich –»
    «Ja?»
    «Ich wusste nicht, dass ich so bin.»
    «Wie – so?»
    «Na, dass ich Jungs mag. Das bringt mich ganz durcheinander.»
    «Max, das ist normal. Probier’s einfach aus.»
    Den ganzen verbliebenen Nachmittag über ist nichts mehr aus Max herauszubringen. Doch noch am selben Abend sieht Otto die beiden beim Essen nebeneinandersitzen, Max und den Jungen mit den grünen Augen, ihre gebräunten Arme berühren sich fast. Sie sehen einander nicht an, aber die Spannung, das stille Einverständnis ist fast mit Händen zu greifen. Otto beneidet sie.
    Eine seltsame Neugier treibt ihn immer wieder in die Nähe von Hütte 24. Die Bewohner schotten sich ab wie die Chassiden. Was geht dort drinnen vor? Bisher hat Otto sich nie mit Homosexualität beschäftigt, obwohl einige seiner Freunde und Studenten vermutlich vom anderen Ufer sind, wie man so sagt. Es hat ihn nicht

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