Königskinder (German Edition)
gut, ich erhalte Briefe und Trost von Ludka, und wir hoffen alle auf Dein Kommen. Ich wäre nie gefahren, wenn man mir nicht versprochen hätte, dass Du bald nachkommen würdest. Liebe Irka, es tut mir ja so leid, dass Du all diese Schrecklichkeiten durchmachen musst, während ich in relativer Sicherheit bin. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem ich Dir helfen kann. Es tröstet mich, zu wissen, dass Du mit Freunden bist, bitte grüße sie von mir.
Jeden Morgen lese ich die Berichte über die Bombardierungen in der Zeitung und frage mich, wo und wie Du die letzte Nacht verbracht hast, arme kleine Irka. Wenn es hier dunkel wird, ist es für mich eine Erleichterung zu wissen, dass jetzt in Europa der Tag anbricht und die Gefahr etwas geringer wird. Denk immer daran, dass es jemanden gibt, der Dich liebt und dessen Leben ohne Dich sinnlos wäre!
Dein Eric
Für den ersten bis zum vierten November hat sich hoher Besuch in Hay angekündigt. Als Abgesandter der britischen Regierung besichtigt der jüdische Banker und Börsenmakler Major Julian Layton die Camps und verfasst einen Bericht.
Hay liegt in einem der unwirtlichsten Gebiete des Staates, die Umgebung besteht über Hunderte von Meilen praktisch ganzjährig aus Wüste. Offenbar wurde die wenig verlockende Gegend gewählt, damit Internierte, falls ihnen ein Ausbruch gelingt, nur bis zum Fluss fliehen können. Es gibt eine musikalische Gesellschaft, die Theateraufführungen und literarische Abende organisiert (einschließlich Shakespeare- und Chaucer-Lesungen), musikalische Komödien, Vaudevilles etc. Ich erhielt eine besondere Einladung zu einer Vaudeville-Unterhaltung am Samstagabend, dem 2 . des Monats. Man darf erwähnen, dass die Einladung ein Monogramm der Musikgesellschaft trug und die Show den Titel «Hay Days are Happy Days» hatte. Monogramm und Titel waren mit einem kunstvoll aus einer Kartoffel geschnitzten Stempel hergestellt, aber das einzige vorhandene Papier war von einer perforierten Rolle abgerissen!
Die Aufführung wurde von überwiegend jüdischen Künstlern zusammengestellt, die in besseren Zeiten in Österreich und Deutschland in Revuen und Operetten auftraten. Die Bühne ist aus Tischen und Brettern gezimmert, die Vorhänge sind aus Armeedecken genäht, die Scheinwerfer aus Marmeladedosen und Kerosinbehältern gebastelt. Der Titelsong wurde von Ray Martin aus Wien komponiert, früher Kurt Kohn. Tagelang probte hinter Tüchern verborgen eine männliche Girltruppe, und Sealdwell ließ Musikinstrumente, Kabel, Glühbirnen, Farbeimer und Flitterzeug für die Kostümschneider ins Lager liefern.
Die Vorstellung wird zu einem Großereignis. Das gesamte australische Offizierskorps erscheint in Ausgehuniform mit ihren herausgeputzten Ehefrauen. Für Layton und die Lagerprominenz ist in der Essensbaracke die erste Reihe reserviert. Weiter hinten nehmen die dienstfreien Unteroffiziere und Soldaten Platz. Erich erhält einen Platz in der neunten Reihe. Als Kulisse hat der Bühnenbildner die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Wien in einem betörend kitschigen Panorama vereint: Stephansdom, Schönbrunn und Riesenrad unter einem glitzernden Sternenhimmel.
Die Wiener im Publikum sind gerührt. «Da schau her, der Steffel», seufzt einer in die erwartungsvolle Stille. Gelächter. Aufgeboten wird alles, was ein echtes Wienerherz erfreut: Wiener Walzer, freche Couplets, Sketche, Rezitationen, Kabaretteinlagen. Vom Orchester begleitet singt einer «Mei Muata war a Weanerin», was so manchem Wiener Tränen in die Augen treibt. Die Moderation erfolgt auf Englisch, schließlich soll das Bewachungspersonal auch etwas verstehen. Am Schluss trampeln die Zuschauer vor Begeisterung. Die Australier sind hingerissen. Der Kommandant kommt auf die Bühne und bedankt sich für den wundervollen Abend. Er strahlt übers ganze Gesicht, als wäre er selbst der Regisseur. Am Ende der Aufführung erheben sich alle von ihren Sitzen und stimmen die britische Nationalhymne an.
Layton berichtet, dass an der Aufführung etwa 120 Mitwirkende, über zehn Prozent der Bewohner von Camp 8, beteiligt gewesen seien. Er erwähnt auch «persönliche Probleme» der Internierten. Sie litten darunter, schreibt er, als «gefährliche feindliche Ausländer» bezeichnet zu werden.
700 bis 800 Internierte haben Visa für andere Länder, z.B. in Nord- und Südamerika, Palästina etc., besonders für die USA . Diese Unterlagen befinden sich aber in England, und sie machen sich Sorgen, ob sie sie
Weitere Kostenlose Bücher