Königskinder (German Edition)
da freut sie sich. Drei Monate später.»
«Du solltest Politiker werden», sagt Otto. «Das ist deine Begabung.»
«Ich würde lieber Journalist werden und politische Kommentare schreiben.»
Otto überlegt kurz, ob er mit Erich über Max sprechen soll, und entscheidet sich dagegen.
Erich zieht einen Brief aus der Hosentasche. «Da, lies, Irka hat geschrieben. Stell dir vor, dieser Brief hat keine zwei Monate gebraucht! Was für ein Tempo! Sie hat wieder einen Job. Hatte sie. Heute ist der dritte Jänner, da könnte schon wieder alles anders sein. Es gibt keine Gleichzeitigkeit, keinen Punkt, an dem wir uns treffen können. Wir springen hin und her wie in einer Zeitmaschine.»
Otto nimmt den Brief und liest.
14, Hillside Road, St. Albans, Herts., 7. November 1940
Mein liebster Junge, seit Montag arbeite ich als Hausgehilfin, nach sieben Monaten Freiheit bin ich wieder in der Tretmühle, diesmal unter viel unangenehmeren Umständen, weil ohne Dich. Ich habe recht viel Arbeit, aber ansonsten ist es nicht schlecht hier, oben habe ich ein schönes Zimmer zum Schlafen und unten eins zum Sitzen und Lesen, von 2 bis 4 ist vollkommene Ruhe, und jeden Mittwoch und Sonntag habe ich frei. Vormittags muss ich aufräumen, nachmittags das Nachtmahl kochen. Es ist ein wunderschönes großes Herrenhaus mit fünf Personen, die nicht heikel sind und auch selbst mithelfen. Jeden Morgen kommt eine Putzfrau, sodass ich manche Zimmer gar nicht machen muss. Aber die Einsamkeit ist schrecklich, ich habe niemanden zum Sprechen und eine Sehnsucht nach Dir, die mich halbe Nächte weinen lässt. Das Heulen der Sirenen dringt bis zu uns, weil St. Albans nur 35 Kilometer von London entfernt liegt. Nachts höre ich die Kanonen und das grauenhafte Geräusch der deutschen Flieger. Aber es ist auf jeden Fall besser als in London. Dort hatte ich eine schlimme Zeit.
Ich liebe Dich, vergiss das nie. Deine Irka
«Sei froh», sagt Otto, «du hörst wenigstens ab und zu von Irka. Ich kann mir Else schon gar nicht mehr vorstellen. Vielleicht ist sie im Gefängnis, vielleicht ist sie tot, vielleicht ist sie inzwischen auch geflüchtet. Nein, das kann nicht sein, dann hätte sie mir geschrieben. Vielleicht will sie aber auch nichts mehr von mir wissen, unter so extremen Lebensbedingungen verändern sich die Menschen. Wer weiß.»
«Ich bewundere deine Ruhe», sagt Erich.
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24
Wie versprochen schreibt Irka jede Woche einen Brief, und Erich tut es ihr gleich.
14, Hillside Road, St. Albans, Herts.,12. November 1940
Dear Eric, ich warte immer noch auf einen Brief von Dir. Mir geht es gut, zum ersten Mal in meiner hauswirtschaftlichen Karriere fühle ich mich nicht als Dienstbotin, sogar ein eigenes Radio haben sie mir gegeben. Mit Dir zusammen wäre es ein richtig netter Arbeitsplatz. Ohne Dich weiß ich mit den Abenden oft nichts anzufangen, es wird ja schon um sechs dunkel, und wenn Luftalarm ist, will man nicht hinaus.
Am Sonntag war mein Geburtstag, eine einsame Angelegenheit. Niemand hat mir gratuliert, und vielleicht ist es ja auch der letzte. Nein, nein, das ist dummes Geschwätz! Frag doch dort nach, warum sie mich nicht hinüberlassen, ich kann es hier nicht herausfinden. Jetzt spreche ich schon recht gut Englisch. Arthur, den ich ein paar Wochen nach Deiner Abreise getroffen habe, war beeindruckt. Ich bin richtig stolz, denn Arthur versteht was davon.
Deine Irka
14 Hillside Road, St. Albans, Herts., 25. November 1940
My dearest Eric, nach Monaten des Wartens endlich eine Karte von Dir. Ich war so glücklich, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen soll. Nur: Warum hast Du nicht vor dem 5. Oktober geschrieben? Es ist so wunderbar, einen Brief zu erhalten, zu wissen, dass es irgendwo weit weg einen Ehemann gibt, der sich ebenso nach mir sehnt wie ich mich nach ihm. Ich bin so froh, dass ich Dir fehle. Leider werden wir uns noch viele Briefe schreiben, denn ich komme sicher nicht so bald nach. Inzwischen ist zu viel passiert, und Versprechen werden heutzutage nicht gehalten. Versprich Du mir, dass Du Deine gute Laune nicht verlierst. Du bist in Gesellschaft, und Dein Leben ist nicht in Gefahr – was gibt es Wichtigeres? Wie froh wäre ich jetzt, Menschen um mich zu haben. In meiner Freizeit lese ich Bücher und Zeitungen, stricke und male Weihnachtskarten. Erinnerst Du Dich an vergangene Weihnachten? Damals erschien uns alles so traurig, aber es war wunderbar, denn wir waren zusammen.
Mach Dir keine
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