Königskinder (German Edition)
Wien ein. Man gewinnt den Eindruck, dass die Dinge sich endlich zu bewegen beginnen und die Internierten ernster genommen werden.
Camp 8, Hut 18, 2. Mai 1941
Die Transmigration in die USA scheint aussichtslos zu sein, und was hätte es auch für einen Sinn, wenn Du wieder nicht bei mir wärst. Also habe ich mich auf die Liste derjenigen eingetragen, die nach England zurückreisen wollen. Otto hat sich ebenfalls dazu entschieden. Seither bin ich viel ruhiger. Diese schreckliche Distanz zu Dir muss kürzer werden. Auch so kann es noch lange dauern, bis wir uns wiedersehen, aber hätte ich es nicht getan, würde ich mir bestimmt später Vorwürfe machen, eine Gelegenheit verpasst zu haben.
Dein Eric
St. Albans, 5. Mai 1941
Erich, bitte überleg Dir Deine Entscheidung genau. Ich bin froh, wenn Du dort drüben sicher und gesund bist. Die Überfahrt muss ja grauenhaft gewesen sein, das habe ich erst kürzlich wieder in der Zeitung gelesen. Und jetzt das Ganze noch einmal? Das Leben hier ist auch nicht besonders angenehm. Wenn ich nur zu Dir könnte! Schade, dass ich kein Baby habe, dann hätte ich etwas von Dir. Wenn ich nicht schon zu alt bin, könnte ich ja noch eines bekommen. Ich bin verrückt, nicht?
Deine Irka
Auf Betreiben Major Laytons wird die erste Gruppe am fünften Mai noch vor Sonnenaufgang in das Lager Tatura gebracht. Eine große Menschenmenge sammelt sich am Lagertor, um zuzusehen, wie das Gepäck auf LKWs verladen wird und die Besitzer hinterherspringen. Unter großem Hallo und Wünschen für eine bessere Zukunft verschwinden die Männer nach und nach am Horizont, während in Hay ein neuer Tag anbricht.
Erich hegt immer noch eine schwache Hoffnung auf Transmigration in die Vereinigten Staaten und ist froh, vorerst in Hay zu bleiben. Manche, die ihre Papiere beisammenhatten, sind bereits abgereist, die meisten in die USA, andere nach Palästina oder sogar nach Kuba. Allmählich leert sich das Camp. Es ist Herbst geworden.
Camp 8, Hut 18, 8. Mai 1941
Irka, Liebste, hier wird es jetzt schon ziemlich kalt, besonders abends, nachts und am frühen Morgen. Ich trage Flanellunterwäsche, zwei Pullover, mein Sakko und manchmal auch den Wintermantel. Tagsüber ist es dann bisweilen wieder richtig heiß, sodass man sich mehrmals am Tag umziehen muss. Verglichen mit dem Kontinentalklima in Europa ist es nicht wirklich kalt, aber man spürt es stärker, weil der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht so groß ist. Heute hat es gewittert, der erste Regen seit vielen Wochen, es gießt mit tropischer Gewalt. Wenn es regnet, fühlt es sich an wie zu Hause, denn überwiegend haben wir ja blauen Himmel und Sonnenschein. Ich sehne mich nach Schnee und Bergen. Der Regen hat das Camp in einen See verwandelt, das sieht richtig romantisch aus.
Darling, Du sollst Dich nicht beklagen, dass Du älter wirst, das wird jeder vom Tag seiner Geburt an. Und mit 31 hast du noch keinen Grund dazu, wo ich doch schon bald 40 werde. Ich beneide Dich um Deine Jugend. Ohne Witz!
Dein Dich liebender Gatte
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26
Gegen Ende April 1941 können die Londoner aufatmen, denn Hitler scheint die Lust am Unternehmen «Seelöwe» verloren zu haben. Die Piloten der Spits und Hawkers haben ganze Arbeit geleistet, die Invasion Großbritanniens ist gescheitert. Priorität für die Deutschen hat nun das Unternehmen «Barbarossa», der Angriff auf die Sowjetunion. Der Höhepunkt von acht Monaten Verwüstungen in Großbritannien ist eine Woche der Gewalt gegen Liverpool, Glasgow, Sheffield und Hull. Danach soll nur noch ein symbolischer Teil der Luftwaffe in Frankreich als Stützpunkt verbleiben. Doch am achten Mai übt die Royal Air Force Vergeltung. Fast vierhundert Bomber greifen Bremen und Hamburg an. Die Opferzahlen sind gering verglichen mit dem, was den britischen Städten in den vergangenen Monaten zugefügt wurde, aber Hitler schäumt.
Am zehnten Mai strahlt die Sonne schon am Morgen golden über einem klaren blauen Himmel, nur ungewöhnlich kalt ist es für den Monat Mai. Irka ist wie immer früh aufgestanden, sie muss das Frühstück bereiten. Ihre Familie will um neun losfahren, um das Wochenende bei Verwandten an der Küste zu verbringen. Kaum haben sie das Haus verlassen, macht sich auch Irka reisefertig. Sie verstaut ihre Dokumente, das Schminkzeug und eine frische Unterhose in ihrer Handtasche und beschließt, übers Wochenende in London zu bleiben. Seit Käthe weggezogen ist, steht in Primrose Mansions ein
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