Königskinder (German Edition)
Eric
Die einmal wöchentlich im Nachbarcamp erscheinende Lagerzeitung The Boomerang veröffentlicht im März einen Grundsatzartikel mit dem Titel «Our Future», der allen Widrigkeiten zum Trotz unumschränkte Loyalität mit England predigt, selbstredend in englischer Sprache: «Um die gigantischen Schwierigkeiten zu überwinden, müssen wir uns von unserer deutschen Mentalität lösen, alles, was zu augenfällig ‹kontinental› ist, abschleifen und den englischen oder amerikanischen Lebensstil annehmen. Wir dürfen nicht untergehen, wir müssen Hitler schlagen, wir müssen ihn überleben und dazu beitragen, eine neue Welt aufzubauen.»
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25
Julian David Layton trifft am vierundzwanzigsten März 1941 in Sydney ein. Als Beauftragter jüdischer Flüchtlingsorganisationen in England ist er mehrmals in Deutschland gewesen, um die Emigration von Juden vorzubereiten. Nach der Annexion Österreichs an Nazideutschland reiste Layton nach Wien und vereinbarte Anfang November 1938 in den überfüllten Räumlichkeiten der Kultusgemeinde mit dem Leiter der Nazi-Auswanderungsbehörde Adolf Eichmann die Emigration von 3500 Juden. Seine Ankunft in Australien wird nicht nur von Erich ungeduldig erwartet.
Prompt beeilt sich der australische Armeeminister Spender seinen Landsleuten zu versichern, man werde Layton keineswegs gestatten, einer Horde von Ausländern die Tür zu öffnen. «Wenn die britische Regierung diese Ausländer freilassen will, soll dies nur unter der Bedingung erfolgen, dass sie nach Europa zurückgeschickt werden. Es wird ihnen nicht gestattet sein, sich in Australien frei zu bewegen.»
In Hay wird Layton zuerst von einem Wirbelsturm begrüßt und danach von einem unkooperativen australischen Armeeoffizier. Wie schon einige Monate zuvor beurteilt er die Camps in Hay als für Europäer vollkommen ungeeignet und trifft Vorkehrungen, die Internierten nach Tatura im Bundesstaat Victoria zu verlegen, wo angenehmere klimatische Bedingungen herrschen. Und er bietet die Repatriierung jener an, die sich bereit erklären, dem Pioneer Corps beizutreten. Im Lager ausgehängt werden Rekrutierungslisten für Männer zwischen achtzehn und fünfzig, die körperlich fit sind, aber auch «geringfügige Behinderungen» und Kurzsichtigkeit würden kein Hindernis darstellen. Man werde sie für einen nichtmilitärischen Einsatz in Großbritannien oder anderswo auf Regierungskosten nach England zurückschicken. Etwa vierhundert Internierte melden sich sofort. Auch zweihundert weiteren Männern, deren Ehefrauen hätten nachkommen sollen, wird die Rückreise zugesichert, vorausgesetzt, es finde sich eine geeignete Schiffspassage.
Camp 8, Hut 18, 3. April 1941
Irka, der Beamte, von dem ich Dir geschrieben habe, ist vor etwa einer Woche hier eingetroffen, und wir mussten nur ein paar Formulare ausfüllen, die dann nach Sydney geschickt wurden. Ich habe auf unsere Transmigration in die USA gepocht, mit wenig Hoffnung.
Erich
Camp 8, Hut 18, 17. April 1941
Mr. Laytons Besuch hat den Verheirateten das Versprechen eingebracht, nach England zurückreisen zu können, sobald sich eine geeignete Schiffspassage auftut. Auch das kann lange dauern, und Layton hat uns gebeten, unsere Hoffnungen auf kleiner Flamme zu halten. Die Rückreise erfolgt freiwillig und ist mit einer weiteren Internierung in einem englischen Lager verbunden, bis jeder einzelne Fall untersucht ist. Gern hätte ich gewusst, wie Du darüber denkst. Bitte bestätige meine Briefe, denn ich weiß nie, welchen Brief Du erhalten hast, und wiederhole mich deshalb öfter als nötig. Immer noch bemühe ich mich um eine Transmigration in die USA, aber ich habe wenig Hoffnung, eigentlich überhaupt keine. Auch die Rückkehr nach England ist angesichts der Umstände ungewiss. Ich bin immer noch mit meiner Mandelentzündung im Spital, darf aber schon herumgehen und hoffe, in ein paar Tagen herauszukommen. Ich habe den Luxus eines bezogenen Betts genossen, eine Erinnerung an frühere Zeiten. Das ganze Leben hier geht mir schon gehörig auf die Nerven. Es gibt aber eigentlich keinen Grund zu verzweifeln, die Trennung dauert nur so lang.
Dein Eric
Am Tag, als Erich diesen Brief schreibt, werden die Insassen aufgefordert, in Anwesenheit eines Friedensrichters in dreifacher Ausfertigung Kompensationsformulare für auf der Dunera «verlorengegangenen» Besitz auszufüllen. Erich trägt seine Waterman-Füllfeder, seine Doxa-Armbanduhr und die Lederaktentasche aus
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