Königskinder
ich, doch dann hielt ich inne und beschloss spontan, mir eine Aura des Geheimnisvollen zu geben. »Ich heiße Saraswati.«
»Dufter Name«, sagte er.
Kompliment Nummer zwei. Was für ein toller Junge!
»Ich bin Hassan.«
Weißt Du, was mir an Hassan am besten gefiel? Er wollte nicht mit mir schlafen. Also, okay, zugegeben: Ich habe ihm in den Dünen einen runtergeholt. Aber das ging von mir aus; Hassan hätte sich mit Knutschen zufriedengegeben. Er mochte mich echt.
Hassan war die perfekte Mischung aus Alpha-Macho und kleinem, tollpatschigem Jungen. Einer dieser Typen, die einem in der Kneipe mit großer Geste und den letzten Resten des Taschengeldes eine Rose kaufen, wenn so ein Asylbewerber mit einem Strauß halb verwelkter Blumen an den Tisch kommt. Total rührend. Hassan erzählte mir viel von sich. Das machen Jungs ja sonst sehr selten. Von seiner Familie und dass er Mittelstürmer in seinem Fußballverein ist. Er war in der Jugendauswahl von Borussia Dortmund! Hassan hoffte, irgendwann in der Bundesliga zu spielen. Hat er aber nicht geschafft, ich habe immer mal wieder bei der Sportschau drauf geachtet. Und er ging auf eine Begabtenschule, was mich sehr beeindruckte. Er war so offen und so süß! Obwohl er im Ruhrpott lebte, hätte aus uns etwas Festes werden können, da bin ich mir heute immer noch sicher. Doch ich bin ein Pechvogel: Er sagte mir an diesem Abend seine Telefonnummer, die ich mir mit einem Kugelschreiber auf den Handrücken kritzelte. Blöderweise hatte ich wohl einen Zahlendreher drin. Als ich drei Tage später die Nummer wählte, war da ein Laden für Gebrauchtwagenteile dran. Ich hatte Hassan auch meine Nummer gegeben, aber wahrscheinlich hat er sie verschusselt. So wie Jungs eben sind. Und er hatte auch keine Chance, mich zu finden, weil ich ja unbedingt geheimnisvoll erscheinen wollte und mich Saraswati nennen musste.
Ich habe viel herumtelefoniert in den folgenden Tagen: Im Schullandheim hat man mir gesagt, dass in dem Zeitraum gar keine Klasse aus Dortmund da gewesen wäre. Die anderen drei wären aus Herne gekommen, aus Lüneburg und eine, genau wie wir, aus Hamburg. Ich habe dann noch bei dieser Schule in Herne angerufen, weil das die war, die am dichtesten an Dortmund lag, aber da sagte man mir, man könne nicht für jedes kleine Mädchen nach irgendwelchen Jungs suchen: »Ich habe doch vor zwei Jahren nicht gegen die Volkszählung demonstriert«, erklärte mir die Schulsekretärin von oben herab, »nur um jetzt einfach so den Namen eines Schülers rauszugeben.« Was für eine blöde Kuh.
Ich war supertraurig damals. Da treffe ich tatsächlich mal einen Jungen, der mich wirklich mag, so wie ich bin und nicht bloß das Eine will – und dann bin ich so doof, mir seine Telefonnummer falsch zu notieren! Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich das damals nicht in den Sand gesetzt hätte. Vielleicht würde ich jetzt in Dortmund leben – oder in Herne – und drei Kinder mit wunderschönen braunen Augen haben. Oder in Madrid, da gehen doch alle Super-Fußballer irgendwann hin. Mit meiner Unterstützung hätte es Hassan bestimmt bis in die Nationalelf geschafft. Aber so ist das nun mal im Leben: Die Dinge kommen immer anderes als erwartet. Und dann geht das Leben eben weiter. Muss ja.
*
Hassan war gebührend beeindruckt, als ich ihm von meiner sandigen Entjungferung in Barcelona berichtete. Es war eins der wenigen Male, dass ich meinen Kumpel im nicht-intellektuellen Bereich verblüffen konnte. Hormonell untätig war aber auch er auf seiner Klassenfahrt nicht gewesen: »Ich habe mich zweimal abwichsen lassen«, strahlte er. »Zuerst von so einer Pummeligen, die auf Madonna machte, und dann von ’ner Hippie-Maus. Die war süß, aber auch voll anstrengend irgendwie.« Hassan hatte beiden eine falsche Telefonnummer gegeben: »Also schon meine Nummer von zu Hause, eine andere ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen, aber mit der Vorwahl von Dortmund, da wohnt ein Onkel von mir. Clever, was?«
Was Mädchen und Frauen angeht, konnte Hassan damals ein ziemliches Arschloch sein. Bis sich sein Leben und seine Einstellung zu Frauen radikal änderten.
Aber dazu kommen wir später.
»Du bist ein Schwein, Hassan«, tadelte ich ihn, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ich, mein Freund«, erklärte er mir im Brustton der Überzeugung, »bin ein Mann!«
»Weißt du wenigstens noch, wie die beiden hießen?« Ganz wohl war mir bei dem Gedanken,
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