Königskinder
dass er Mädchen kaum besser als Taschentücher behandelte, nämlich nicht.
»Die Madonna-Tusse hieß … äh … hab ich vergessen«, antwortete Hassan. »Und die andere hatte so einen ganz komischen Namen. Sarotti oder so.«
»Wie die Schokolade?«, wunderte ich mich.
»Ja, genau. Wie die Schokolade«, sagte Hassan.
Kapitel 8
1987
I ch war 17, als ich mein Abitur machte, und hatte den drittbesten Notendurchschnitt des Mößbauer-Jahrgangs. Ich war zufrieden. Den Numerus clausus für Architektur knackte ich so spielend und hätte sofort mit dem Studium loslegen können – doch meine Mutter bestand völlig überraschend darauf, dass ich ein Jahr Pause einlegen sollte.
»Klug ist toll«, sagte sie. »Fleiß auch. Aber es gibt noch etwas anderes im Leben, verdammt noch mal!«
Ich schaute sie irritiert an. Was war denn mit Mama los?
»Und das wäre?«
Sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht fassen, dass ihr ach-so-gebildeter Sohn so schwer von Begriff war. »Spaß, Mark. Du musst Spaß im Leben haben.«
»Ich hätte voll Spaß am Studieren«, antwortete ich.
»Lass ihn doch«, sagte mein Vater.
Doch meine Mutter blieb eisern. Ich glaube, sie hatte diesen Traum, dass ich beginnen könnte, auf Partys zu gehen, auch mal betrunken nach Hause zu kommen und mit irgendwelchen verrückten Kumpels in verräucherten Rock-Clubs abzuhotten. Sehr irritierend! So zögernd Mama meine Freundschaft mit dem wilden Hassan akzeptiert hatte, so radikal war nun ihre plötzliche Kehrtwende. Als ich ihr Angela vorstellte, meine groß gewachsene erste Freundin, mit der ich nach unserer Klassenfahrt tatsächlich drei Monate zusammen war, bevor ich sie an einen 1,90 Meter großen Kreisliga-Basketballspieler verlor, war sie ihr gegenüber sehr freundlich gewesen, hatte mich aber beiseitegenommen und allen Ernstes gefragt, ob ich mich schon »erwachsen genug« für eine »feste Bindung« fühlte. Nun schien sie geradezu von mir zu erwarten, dass ich Mädchen am laufenden Band das Herz brach, ganz unerwachsen und ohne jeden Bindungs-Gedanken. Es war, als hätte man meine Mutter heimlich gegen ein Double ausgetauscht, das allem widersprach, was ich bisher von ihr gewöhnt war.
»Geh doch mal in die Disco«, drängte mich meine Mutter regelmäßig. »Tob dich ordentlich aus. Man lebt nur einmal, und das Leben ist so kurz!« Doch das war, als hätte man Helmut Kohl zu einem Aerobic-Kurs überreden wollen: Es passte einfach nicht zu mir. Seit der Trennung von Angela war kein neues Mädchen in mein Leben getreten. Nicht etwa, weil ich ihr hinterhertrauerte – wir hatten beide von Anfang an gewusst, dass es zwischen uns nicht die große Liebe war –, sondern weil ich einfach kein Mädchen fand, das mich wirklich interessierte. Heimlich beneidete ich Hassan darum, wie wenig Gedanken er sich um das Thema machte. Ich dagegen hatte das merkwürdige Gefühl, auf jemand ganz Besonderen warten zu müssen. Und bis dahin gab es zum Glück immer noch meine Penthouse -Freundinnen.
Sosehr ich auch auf eine unterbrechungsfreie Fortsetzung meiner hochklassigen Bildung drängte – meine Mutter wollte mich partout erst volljährig auf die Universität lassen.
»Reise um die Welt!«, sagte sie mit großer Geste. »Triff Menschen! Entdecke Wunder!«
Ich gab nach. Zumindest theoretisch leuchtete mir ihre Kernaussage ja auch ein. Also beschloss ich, mein Architekturstudium noch zwölf Monate warten zu lassen, und begann stattdessen, Tourismusprospekte zu wälzen.
Meine Eltern finanzierten mir schließlich eine zweiwöchige Reise nach Moskau. Es war eine Bildungsreise mit zahlreichen Vorträgen über Kunstgeschichte und Architektur. Ich bin eben nicht der Typ Mensch, der am Strand liegen mag.
Okay, Folgendes passiert, wenn man als Siebzehnjähriger an einer Bildungsreise mit kulturhistorischem Schwerpunkt teilnimmt: Man ist mutterseelenallein unter echt alten Menschen! Der jüngste Teilnehmer meines zweiwöchigen Moskau-Trips mit dem renommierten Veranstalter Cultura Mobile war fünfundfünfzig Jahre alt. Unsere Reisegruppe hatte elf Teilnehmer, und mindestens drei davon sahen so aus, als ob dies wohl ihr letzter Ausflug werden würde. Und doch sollte diese Reise erstaunlicherweise für mein Liebes- und auch sonstiges Leben von fundamentaler Bedeutung sein.
Das Hotel, in dem uns Cultura Mobile untergebracht hatte, zählte zu den besten Häusern der russischen Metropole. Was in Moskau damals allerdings nicht allzu viel zu bedeuten
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