Königskinder
Ehrlich.
»Du bist süß«, sagte Angela.
»Danke«, sagte ich.
*
Mein lieber unbekannter Adressat, weißt Du, was komisch ist? Man macht tatsächlich immer dieselben Fehler wie seine Eltern. Obwohl man es doch wirklich besser wissen sollte, wenn man tagtäglich miterlebt hat, wie Mama und Papa die Dinge in den Sand setzten. Man sollte sich sagen: Hey, so etwas passiert mir nicht! Aber so ist das nicht. Viele Alkoholiker haben Eltern, die ebenfalls Trinker waren. Kinder, die darunter leiden, von ihren Eltern geprügelt zu werden, schlagen später trotzdem auch ihren eigenen Nachwuchs. Entgegen aller Logik. Und ich?
Ich hätte mir sagen müssen: Simone, du wirst dir deine Kerle sorgfältiger aussuchen, als deine Mutter es tat! Du wirst nicht jeden Scheiß glauben, den dir die Jungs erzählen. Du wirst nicht mit dem Herz in der Hand spazieren gehen und es bereitwillig und hoffnungsvoll jedem Typen überreichen, der nett zu dir ist und dir die Welt verspricht – nur um es dann eine Weile später in Bruchstücken zurückzubekommen und es mühsam flicken zu müssen. Das hätte ich mir sagen müssen.
Aber ich tat es nicht.
Ich stapfte in jede Jungsfalle, die mir in den Weg gestellt wurde.
Meinen ersten Freund hatte ich mit vierzehn. Er war siebzehn, hieß Rille und spielte in einer Punkband namens Broken Bones Patrol. Rille hieß eigentlich Thomas, aber ich hatte in meinem ganzen Leben bisher noch so gut wie keinen Freund, der nicht einen dubiosen Spitznamen trug. Rille war ein Bad Boy. Doof wie Brot, wie ich rückblickend zugeben muss, und nicht einmal besonders nett – aber hey: Er war der Gitarrist einer Band! Ich hatte auch kurz etwas mit dem Schlagzeuger (Flesh alias Florian), und dann mit einem Typen aus der Zehnten, der sich streng genommen strafbar gemacht hat, als er mir bei einem Schulfest erst Wodka in den O-Saft goss und mir dann in einer Ecke des Schulhofs die besten Zungenküsse gab, die ich damals für möglich hielt. So kann man das Herz eines Mädchens auch erobern. Aber nur für ein paar Stunden. Aus meinem Langzeitgedächtnis ist sein Name recht schnell verschwunden.
Ich glaube, die Jungs sahen mich als leichte Beute. Und wahrscheinlich hatten sie recht. Richtig verliebt habe ich mich aber das erste Mal mit fünfzehn. Es war auf einer Klassenreise nach Puan Klent auf Sylt.
Bevor ich Dir erzähle, an wen ich dort mein Herz verlor, musst Du erst einmal verstehen, in welcher Situation ich mich befand. Es war die Mitte der achtziger Jahre, und die Luft war dünn für Freigeister wie mich. Allein in meiner Klasse liefen drei Madonna-Klone herum, die einheitlich, Like-a-Virgin -mäßig mit hochtoupierten Haaren, schwarzer Rüsche und Minirock durch die Gänge der Schule trippelten. Unser Klassensprecher war ein Popper mit geföhntem Seitenscheitel, der eines Tages tatsächlich mit einem grau-fliederfarben karierten Kaschmirpullover in der Klasse erschien. Anstatt einen Sturm des Gelächters zu ernten, machte er Flieder zur dominierenden Farbe des Jahrgangs auf unserer Schule. Ich aber war kein geeignetes Madonna-Double und kein Popper-Material. Ich war auch kein Punk, obwohl ich ein paar Freunde in dieser Ecke hatte. Und ich war damals noch nicht politisch. Das kam erst später. Ich verabscheute einfach jede Art von Gruppenbildung. Ich war ich. Basta. Keine Mitläuferin, aber auch keine graue Maus, die unbemerkt im Hintergrund vorbeihuscht.
Ich trug immer noch gern die langen Batikröcke, die meine Mutter im Laden verkaufte, schuf aber mit dem Hundehalsband aus Leder und Nieten, das ich trug, einen Kontrast zum Hippie-Flair. Ich schminkte mir nicht die Wimpern und Lider, weil ich fand, dass Augen die Spiegel der Seele seien und dass man einen Spiegel nicht verschmieren durfte, weil man sonst nichts mehr erkennen konnte. Doch so pur meine Augen blieben, desto greller war mein Mund: Ich benutzte meistens einen orangefarbenen Lippenstift, der, glaube ich, sogar im Dunkeln leuchtete. Dazu trug ich mal Cowboystiefel, mal Wanderschuhe, auf jeden Fall nichts mit irgendeinem Absatz. Ich war meine eigene Moderichtung.
Die In-Groups fanden mich peinlich, die Streber konnten mit mir nichts anfangen, weil ich eine bestenfalls mittelmäßige Schülerin war, und den selbsternannten Null-Bock-Anarcho-Schlurfis nahm ich dann doch noch zu aktiv am Unterricht teil. Ich fand niemanden, der meine Interessen teilte.
Meine Klassenkameraden hatten Poster von Madonna, Jennifer Rush und Frankie Goes to Hollywood in
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