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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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hatte. Es war eine dieser verlogenen Unterkünfte, in der devisenträchtige Westler einen sehr unkommunistischen Preis für einen außergewöhnlich mangelhaften Service zu berappen hatten. Es war Kapitalismus mit rotem Stern.
    Das Hotel Moskau war ein riesiges Gebäude, nicht weit vom Kreml entfernt. Der Architekt A. V. Schusev hatte das monumentale, in seiner Klotzigkeit trotzdem seltsam verspielte und auf eine verstohlen trotzige Art sogar elegante Gebäude während der Stalin-Ära gebaut. Es war eine Behausung von erhabener Wucht, in seiner Außenanmutung trotz staatlich verordnetem Atheismus sogar ein wenig tempelähnlich. Das Hotel war zwar in einem maroden Zustand – aber ich liebte es!
    Ich liebte überhaupt ganz Moskau. Ich liebte die Architektur und die Menschen, die auf eine rauhe Art herzlich waren. Ich liebte sogar das karge Grau und Braun, das über der Stadt lag wie eine Tagesdecke aus dem weltgeschichtlichen Waisenhaus. Es gab so gut wie keine Farben in der Hauptstadt der Sowjetunion. Es war, als würde man durch einen Schwarzweißfilm laufen. Die Stadt machte auf mich den Eindruck, als wäre sie dabei, sich zu verpuppen, nicht sicher, ob sie mit einiger Mühe ein Schmetterling werden konnte oder einfach nur sterben würde.
    Nach einem mittelprächtigen Abendessen im Kreise meiner greisen Reisebegleiter, als ich gerade auf mein Zimmer gehen und noch etwas lesen wollte, nahm mich plötzlich der zweitjüngste zur Seite, ein fünfundfünfzigjähriger Mann, der mir längst als lautester und jovialster Teilnehmer unserer Reise aufgefallen war. Er legte seine Hand auf meine Schulter und sagte: »Komm, wir setzen uns noch auf einen Drink in die Bar.«
    Ich schaute ihn verblüfft an, hatte ich mich doch in den letzten Tagen daran gewöhnt, weitestgehend unbeachtet zu sein und als einzige Form der Kommunikation höchstens ein mütterliches Zwinkern von einer der kulturbeflissenen alten Damen aus meiner Gruppe zu ernten.
    »Okay«, sagte ich.
    »Ich heiße übrigens Walter«, stellte sich der Mann vor und streckte mir seine Hand hin.
    »Ich heiße Mark.«
    Walter war, wie sich herausstellte, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Er war ein ziemlich einflussreiches Mitglied der Hamburger CDU. Und er war tatsächlich Millionär. Ihm gehörte eine Immobilienfirma, die nicht nur mit bestehenden Grundstücken und Gebäuden handelte, sondern auch europaweit Bauprojekte betreute. Er machte die Moskau-Reise, weil er glaubte, dass man in diesem Land bald Geld verdienen könne.
    »Schau dir das doch mal an«, sagte er, während wir an einem kleinen Tisch an der Bar saßen, und er durch das Fenster nach draußen zeigte. »Was hier alles brachliegt! Das ist noch die Bachstraße, doch es wird nicht lange dauern, dann wird es die Schlossallee sein. Und darum kommt es darauf an, wer schnell genug ist und sich als Erster seine Parzellen sichert.«
    Ich schaute ihn ratlos an. »Bachstraße?«
    »Hast du noch nie Monopoly gespielt?«, lachte Walter. »Die Bachstraße ist ganz vorne auf dem Spielplan. Billig. Sozialwohnungen. Schlecht riechende Menschen in Trainingshosen. Die Schlossallee aber ist ganz am Ende des Weges. Eine Prachtstraße. Ferraris in den Auffahrten, Chanel Nr. 5 in der Luft. Wenn du dort etwas drauf baust, hast du es geschafft!«
    »Ach so«, sagte ich und trank von meinem Bier.
    » Two Wodka for my friend and me!«, rief Walter dem Barkeeper zu. Warum er glaubte, ausgerechnet in der Sowjetunion auf Englisch kommunizieren zu müssen, weiß ich nicht. Vermutlich war das seine erste Ostblock-Reise.
    »Du interessierst dich für Architektur, oder?«, fragte Walter. »Ich habe die Reiseführer gesehen, die du immer dabeihast. Die sind schon sehr spezifisch.«
    »Ich werde nächstes Jahr ein Architekturstudium anfangen«, bestätigte ich stolz.
    Walter klopfte mir wieder auf die Schulter. »Ein zielstrebiger, junger Mann! Das lobe ich mir!«
    Der Barkeeper servierte uns zwei gutgefüllte Wodkagläser. Ich nippte kurz skeptisch daran, dann schloss ich die Augen und trank das Glas auf Ex leer.
    »Eigentlich bin ich erst siebzehn«, murmelte ich.
    »Mit siebzehn hat so mancher Russe schon seinen ersten Leberschaden!«, lachte Walter.
    Drei Wodkas später begann das Hotel Moskau auf eine sehr wohlige Art zu schaukeln. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und hörte Walter zu, der kaum mehr als ein gelegentliches Nicken von mir benötigte, um mir ausgiebig seine Welt zu erklären. Walters Welt war Geld. »Ich bin

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