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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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revolutionären Freunde.
    Nicht dass Du falsche Vorstellungen bekommst, mein lieber Unbekannter: Wir stellten keine ernsthafte Bedrohung für das kapitalistische System dar. Wir dackelten bloß auf Demos, gingen zu »Marionettentheater für den Frieden«-Abenden und abonnierten die DKP-Zeitung »Unsere Zeit«, die wir aber selten lasen. Ansonsten waren wir einfach eine Clique pubertierender Jungen und Mädchen, die sich gegenseitig Halt gaben und Spaß hatten. Der linke Widerstand war mein Ponyhof geworden, und die von der Mutterpartei großzügig gesponserten Reisen zum »Festival der Jugend« nach Dortmund, zum europäischen Pionier-Treffen in Groningen und die große Reise nach Moskau, dem Zentrum unserer Ideologie, waren meine Ausritte mit den Freunden.
    Ja, ich hatte tatsächlich zum ersten Mal richtige Freunde. Und es war toll! Ich war echt froh, dass ich mitgegangen war auf die SDAJ-Fete. Und ich bin nachträglich sehr erleichtert, dass der süße Schulsprecher kein Scientologe war. Wer weiß, in was für eine Scheiße ich mich sonst geritten hätte …

    Also: Wir saßen in Moskau, tranken Wodka, und gerade sagte Sanne mit verschwörerischer Stimme: »Wenn ihr versprecht, dass ihr es nicht weitersagt, dann …«
    Wir alle starrten sie neugierig an. Doch Sanne fuhr nicht fort. Wir glotzten erwartungsvoll, sie schwieg dramatisch.
    »Was dann? «, rief ich ungeduldig. Meine Stimme war lauter und ein wenig schriller als gewöhnlich. Was vermutlich am Wodka lag.
    »Versprecht ihr’s?«, fragte Sanne. »Ich habe nämlich versprochen, noch nichts zu sagen! Ihr dürft kein Wort verraten!«
    »Wir versprechen es!«, rief Karen und salutierte.
    »Versprochen!«, riefen auch Tanja und ich.
    »Also«, verkündete Sanne. »Jan und ich …«
    Es war als hätte mir jemand einen Elektroschocker auf die Brust gedrückt. Ich zuckte entsetzt zusammen und zitterte. Jan war nämlich der Schulsprecher. Der, mit dem alles anfing. Jan und ich waren zusammen. Es war Liebe! Aber die anderen durften es noch nicht wissen, weil Jan noch eine andere Freundin hatte, von der er sich erst trennen musste, aber das war nicht so einfach, weil die nämlich mit Selbstmord gedroht hatte, wenn er sie verließ.
    »Jan und ich«, sagte Sanne, »wir sind zusammen. Er ist total süß und echt …«, sie kicherte, »… gut im Bett. Der macht das sogar mit dem Mund!«
    Mein Mund machte auch etwas: Er stand vor Schock sperrangelweit offen.
    »Aber ihr dürft das noch niemandem verraten, denn Jan hat noch eine Freundin, von der er sich erst trennen muss, und die ist voll schwierig und total psychisch krank und so. Die hat gedroht, sie bringt sich um, wenn er sie verlässt. Aber er hat gesagt, er liebt mich!«, sprudelte es nun begeistert aus der angeschwipsten Sanne heraus.
    Ich erhob mich, leichenblass, mit weichen Knien und einem rasenden Schmerz in der Brust. Der Schmerz war genau da, wo das Herz sitzt. Ich wollte würdevoll ins Gemeinschaftsbad auf dem Flur gehen und erst dort in Tränen ausbrechen. Doch dann schlugen mir die Traurigkeit, der Schock und die Wut plötzlich wie eine Faust in die Magengrube – und ich musste kotzen. Buchstäblich kotzen! Es kam einfach aus mir herausgeschossen. Ich hielt mir noch eilig die Hand vor den Mund, was allerdings nur zur Folge hatte, dass mein Erbrochenes nicht in einem halbwegs lenkbaren breiten Strahl aus meinem Mund austrat, sondern ich meinen Magen- und Galleninhalt wie eine Sprinkleranlage über das komplette Vierbettzimmer und meine drei Freundinnen verteilte. Das heißt: Jetzt waren es ja nur noch zwei Freundinnen. Mit Sanne würde ich nie wieder ein Wort reden!
    »Iiiiih!«, schrien die drei und sprangen auf.
    »Eeeklig!«, kreischte Karen, und Tanja ergänzte keifend: »Spinnst du?«
    Ausgerechnet Sanne kam auf mich zu, legte mir den Arm um die Schulter und führte mich sanft und mütterlich in Richtung Badezimmer. Sie fühlte die Temperatur meiner Stirn, sagte: »Alles okay? Kann ich etwas für dich tun? Verdammter Wodka!«, und gab mir dann einen frischen Waschlappen aus ihrem Fach, mit dem ich mein Gesicht säuberte.
    »Du Arme«, sagte Sanne und umarmte mich, so herzlich und aufrichtig und wunderbar wie eine Schwester.
    Also beschloss ich, bloß auf Jan, das Arschloch, sauer zu sein. Sanne wusste ja gar nicht, was los war.
    Nachdem wir das Zimmer einigermaßen sauber bekommen hatten, duschten wir. Alle vier. Doch das warme Wasser reichte nur für Karen und für Tanjas Haare.
    So ist das im

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