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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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er mit einem entschuldigenden Grinsen.
    Und so kletterten wir hinaus. Ich zuletzt.
    »Blödidioten!«, hörte ich Luna fauchen, während sie zu ihrem Kastenwagen stampfte.
    *
    Sophie und ich saßen am Frühstückstisch. Wir tranken Kaffee, aßen Croissants und teilten uns wie immer das Hamburger Abendblatt. Ich las die Politik-, die Wirtschafts- und die Auslandsseiten, Sophie die Hamburger Regionalmeldungen, den Kulturteil und aus irgendeinem morbiden Grund auch leidenschaftlich gern die Todesanzeigen.
    Als sie Anstalten machte, mir etwas aus der Zeitung vorzulesen und dabei fröhlich kicherte, wusste ich, dass es keine Sterbeanzeige sein würde.
    »Hör mal«, sagte Sophie. »Total verrückt: Kurioser Einbruch in Kosmetikfabrik. Unbekannte Täter brachen in der Nacht von Sonntag auf Montag in die Kosmetikfirma Ottmar Glossler GmbH in Billbrook ein.« Sophie schaute mich an und erklärte: »Onkel Ottmar ist mein Patenonkel. Einer von Papas besten Freunden!«
    Es war erstaunlich, wie viele Leute, die in der Zeitung standen, persönlich mit meinem zukünftigen Schwiegervater befreundet oder zumindest bekannt waren.
    Ja, richtig: zukünftiger Schwiegervater! Nach nur vier gemeinsamen Monaten in derselben Wohnung hatten Sophie und ich beschlossen zu heiraten. Nächstes Jahr sollte es so weit sein. Es ging viel zu schnell, es war verrückt – aber es fühlte sich auch romantisch an und irgendwie … plausibel.
    »Haben sie etwas geklaut?«, fragte ich. »Was kann man da überhaupt stehlen in so einer Kosmetikfabrik? Kistenweise Lippenstifte?«
    »Das ist ja das Verrückte!«, kicherte Sophie und las weiter vor: »Erstaunlicherweise wurde von den Tätern nichts entwendet. Stattdessen hinterließen sie, nachdem sie offenbar vom Hund des Hausmeisters vertrieben wurden, eine handgeschriebene Nachricht im Briefkasten des Unternehmens: Entschuldigung. Wir dachten, Sie quälen Tiere. Hoffentlich reicht das für die Scheibe. Dazu hatten die merkwürdigen Einbrecher einen Hundert-Mark-Schein gelegt.«
    »Das müssen ja voll die Trottel sein!«, lachte ich.
    »Wer weiß, was genau dahintersteckt«, sagte Sophie. »Aber man kann den Leuten ja nur vor den Kopf gucken.«
    Man kann den Leuten nur vor den Kopf gucken! Ich mochte es irgendwie, wenn meine zwanzigjährige Verlobte Redewendungen benutzt, die man eher bei einer Fünfzigjährigen erwarten würde. Ich fand es süß. Ich fand sie süß. Meine Sophie: zuckersüß.
    Ich wünschte, meine Mutter hätte noch miterleben können, wie glücklich ich war.

Kapitel 10
    1991
    I ch betrat den Laden meiner Mutter. Die kleine tibetische Schelle, die sie über der Tür angebracht hatte, meldete mit einem Klapperklingeln die Ankunft eines potenziellen Kunden. Doch meine Mutter war nirgends zu sehen. Sie befand sich nicht im kleinen Verkaufsbereich, und sie trat auch nicht durch den Vorhang der Teeküche. Das war sehr leichtsinnig, denn die Kunden im Geschäft meiner Mutter neigten dazu, spontan zu Ladendieben zu werden. Einmal hatte ich einen Mann erwischt, der einen sehr schönen Silberarmreif in seine Jackentasche gleiten ließ; der Typ hatte allen Ernstes behauptet, er wäre in einem früheren Leben ein armer Bauer in Indien gewesen, der für die grausamen britischen Kolonialherren als Zwangsarbeiter in den Teeplantagen schuften musste und dort schließlich vor Erschöpfung starb. Er hätte also sozusagen das posthume Recht, sich in seinem neuen Leben bei allen der Teeindustrie anhängigen Unternehmen eigenmächtig eine Kompensation zu genehmigen. Wenn ich an diesem Tag nicht zufällig da gewesen wäre und den Spinner nach draußen befördern konnte, hätte sich meine Mutter bei ihm womöglich noch für das schmähliche Verhalten der Briten entschuldigt und ihm den Silberarmreif hübsch eingepackt.
    »Mama!«, rief ich. »Bist du da?«
    »Saraswati«, wimmerte es leise hinter dem Vorhang.
    Ich zog erschrocken den Vorhang zurück und sah meine Mutter in der Teeküche auf einem Hocker kauern. Ihr Gesicht war knallrot und tränenverschmiert.
    »Mama! Was hast du?«, rief ich und umarmte sie. Ich wusste instinktiv, dass es kein körperliches Leid war, das sie plagte, dass sie sich nicht verletzt oder geschnitten oder gestoßen hatte.
    »Blaue Rosen«, jammerte meine Mutter. »Stell dir das vor, Saraswati-Schätzchen: blaue Rosen!«
    »Häh?«, fragte ich.
    »In Australien«, schniefte meine Mutter, »haben sie blaue Rosen gezüchtet. Mit Genen und so.«
    »Okay«, sagte ich, »das ist

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