Königskinder
möglichen Türen, fanden aber nichts als Büros und kleinere Laboratorien, in denen kein einziges geschundenes Tier uns mit hoffnungsvoll großen Kulleraugen durch die Gitterstäbe eines zu kleinen Käfigs anstarrte.
»Bestimmt sind die alle im Keller zusammengepfercht«, spekulierte ich. »Wo niemand sie hört.«
Das leuchtete den anderen ein. Also begaben wir uns auf die Suche nach einer Kellertür.
Wir fanden keine.
Nach zwanzig Minuten im Gänge-Wirrwarr der Glossler GmbH, als wir bereits anfingen, dieselben Türen zum zweiten Mal zu öffnen und Jörn, der vermutlich die schwächste Blase der Welt besaß, schon die Toilette benutzen musste (er machte sich einen Spaß daraus, ins Damenklo zu gehen), befiel uns eine gewisse Ratlosigkeit.
»Ist das auch wirklich die richtige Firma?«, fragte Sanne.
»Logo«, sagte Wolle. »Ganz sicher.«
»Aber wo sind dann die Foltertiere?«, wollte Luna wissen. »Und was ist das für ein komisches Trippelgeräusch.«
In diesem Moment, als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, kam ein Schäferhund um die Ecke. Er ging langsam, mit bedrohlich gesenktem Kopf. Sein Schwanz wedelte nicht. Er starrte uns an. Luna lief auf ihn zu. »Hundchen, wir befreiretten dich!«, rief sie entzückt.
Der Hund blieb stehen und knurrte sie an. Luna erstarrte.
»Der ist gar nicht in einem Käfig«, stellte Ingo mit der ihm eigenen Brillanz fest.
»Ich glaube nicht, dass das ein Versuchstier ist«, bestätigte Wolle mit zittriger Stimme.
Und dann ging uns allen ein Licht auf. Wir bekamen es mit der Angst zu tun. Sanne, die hinter mir stand, winselte leicht, so dass ich für einen kurzen Moment dachte, ein zweiter Hund wäre aufgetaucht.
»Ihr habt doch gesagt, dass es hier keine Wachleute gibt!«, stieß Luna angsterfüllt hervor.
»Siehst du hier ’nen Wachmann?«, herrschte Wolle sie an. »Hier ist keine Menschenseele, nur der blöde Köter, und der …«
… verstand offensichtlich, was mein Mitbewohner gerade Despektierliches über ihn sagte, duckte sich und stieß einen Knurrlaut aus, der nur eine Reaktion auslösen konnte: »Lauft!«, schrie ich und rannte los. Der Schäferhund stieß ein wütendes Bellen aus und lief ebenfalls los. Höchstens zwanzig Meter trennten ihn von uns. Wir rannten, wie wir noch nie gerannt waren in unserem Leben. Der Hund bellte, und es klang so wütend, wie ein Bellen nur klingen kann.
Wir waren autonome Revoluzzer, keine Sportler. Wir liefen schnaufend und spaddelig und in einem nicht einmal ansatzweise befriedigenden Tempo. In spätestens zehn Sekunden würde uns der Killerköter erreicht haben! Doch dann schrie Ingo, der an der Spitze unserer Gruppe von Hobby-Anarchisten lief: »Mir nach!« Wir hechteten kurz hinter ihm durch eine Tür, die er dann mit lautem Krachen zuschlug. Wir hörten, wie der Hund, der nicht rechtzeitig bremsen konnte, gegen die Tür rummste und nun noch wütender bellte.
Wir atmeten erleichtert aus.
»Whua!«, schnaufte Ingo und zerrte sich den Strumpf vom Kopf. »Das war knapp!«
Der Hund bellte hysterisch die Tür an, doch wir wussten, dass wir in Sicherheit waren. Vorerst. Wir namen alle unsere albernen Masken ab und standen etwas ratlos da, mit hochroten Köpfen und zersausten Frisuren.
»Dieser Informant, der dir das mit den Tierversuchen erzählt hat«, begann ich Wolle auszufragen, obwohl ich mein Keuchen noch nicht vollständig in den Griff bekommen hatte, »was ist das genau für einer?«
»Äh …«, begann Wolle und schaute betreten zu Boden.
»Sag schon!«, pfiff Sanne ihn an.
»Also, den habe ich in einer Kneipe kennengelernt. Im Krawall . Der sagte, er kenne jemanden, der einen Bruder hat, der bei Glossler arbeitet, und der hat gesagt …«
»Ach du Scheißmist!«, rief Luna.
»Die machen hier gar keine Tierversuche?«, motzte Jörn.
Der Schäferhund vor der Tür bellte und knurrte.
»Kackdreck!«, regte sich Luna auf und fuchtelte wild mit den Armen vor den Jungs herum. »Ihr dummdoofen Blödköpfe!« Unsere kleine Süße kam jetzt richtig in Fahrt. Da war es, das legendäre lateinamerikanische Temperament, das ich bei ihr bislang immer ein wenig vermisst hatte.
Wolle schaute immer noch schuldbewusst zu Boden.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal organisieren wir Frauen die Aktion«, verkündete ich unter zustimmendem Nicken meiner Mitbewohnerinnen.
»Während ihr die Klos putzt!«, ergänzte Sanne.
Ingo öffnete das Fenster und hielt es auf. »Nach euch, Ladys«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher