Königskinder
eigentlich sehr gut Deutsch, verband aber manchmal zwei eigenständige Worte zu einem neuen Wort. Hier zog sie gerade gemein und fies zusammen. Keine Ahnung, warum sie das machte. Wenn man sie eine Weile kannte, gewöhnte man sich aber dran. So wie ich mich wohl auch noch daran gewöhnen würde, dass ich einen so abrupten Themenwechsel sportlich nehmen musste, statt mich darüber zu ärgern. Andererseits: Gegen das, um was es nun ging, war die männliche Pinkelproblematik ein kleiner Furz. Unser Glossler-Projekt war eine große Sache, die wir schon seit Wochen planten.
»Es ist ja nicht so, dass die bei Glossler Krebsforschung betreiben oder so«, fuhr Wolle fort. »Das ist nur eine Kosmetikfirma!«
Sanne, Luna und ich, die wir alle kaum Schminkutensilien verwendeten, durften uns mit ruhigem Gewissen gemeinsam mit den Jungs darüber empören, dass bei der Ottmar Glossler GmbH in Hamburg-Billbrook unschuldige Kreaturen für die Eitelkeit irgendwelcher aufgebretzelten Tussen gefoltert und getötet wurden.
»Schweine!«, sagte ich und sah meine Mitbewohner an. Sie durften das sowohl auf die miesen Tierquäler bei Glossler als auch auf ihr Kloverhalten beziehen. Sie lagen in beiden Fällen richtig.
»Also?«, fragte Sanne. »Ziehen wir’s durch?«
»Wir ziehen es durch!«, sagte Wolle mit fester Stimme.
»Das wird die fertigmachen!«, rief Ingo.
»Die werden sich wunderstaunen!«, freute sich Luna.
Jörn erhob sich und ging in den Flur. Ich hörte, wie er die Tür zur Frauentoilette öffnete.
Kurz vor ein Uhr nachts machten wir uns zum Aufbruch bereit. Es war unser erster Einsatz als autonome Tierbefreier. Der SDAJ und der DKP hatte ich abgeschworen; das war letztlich ein totaler Spießerverein, fand ich inzwischen. Klappcouch-Kommunisten! Viel zu viele Regeln! Ich war jetzt viel cooler: ich war Stadtguerilla! Unsere WG war eine von vielen autonomen Gruppen, die mit viel Phantasie und wenigen Regeln gegen die Ungerechtigkeiten des Systems kämpften. Gegen Tierversuche, für Menschenrechte, gegen Nazis, Bonzen und Banker, für Multikulti und soziale Gerechtigkeit. Gewalt gegen Menschen war nicht erlaubt, gegen Hauswände, Fenster und anderes schon.
Weil man leider noch nicht davon leben konnte, ein guter, reflektierter und engagierter Mensch zu sein, arbeitete ich außerdem bei meiner Mutter im Teeladen und kellnerte donnerstags, freitags und samstags im Bistro des Programmkinos Abaton im Uni-Viertel. Da gab’s manchmal echt gutes Trinkgeld.
Unser Plan war simpel: Wir würden bei Glosslers Folterfabrik einsteigen und so viele Tiere wie möglich befreien. Ingo hatte sich von einem Kumpel einen VW-Bus geliehen, in dem wir die Hunde und Hamster unterbringen würden (wir hatten vorsorglich einen großen Pappkarton mit Hamsterstreu gefüllt und eine Tüte mit Knochen beim Fleischer geschnorrt), und Luna besaß einen alten Renault-Kastenwagen, in den wir sicher dreißig Katzen reinquetschen konnten. Wenn wir all diese Kreaturen vor Folterqualen und dem sicheren Tod gerettet hätten, würden wir zu einer abgelegenen Grundschule in Hamburg-Bramfeld fahren, dort in die Turnhalle einbrechen und die Hunde in der Sporthalle, die Katzen in der Jungs-Umkleide und die Hamsterkiste in der Mädchen-Umkleide einschließen. Dann würden wir anonym von einer Telefonzelle aus den Tierschutzverein benachrichtigen, wo sie die armen und geschundenen Kreaturen abholen konnten.
Wir fühlten uns wie die würdigen Nachfolger von Che Guevara und Dr. Dolittle und waren sehr stolz auf das, was wir riskierten.
Wir hatten uns bereits in schwarze Klamotten gehüllt und standen abfahrbereit im Flur, als Wolle eine Karstadt-Tüte zückte. »Falls die da Überwachungskameras in der Fabrik haben!«, sagte er und reichte jedem von uns eine noch verpackte schwarze Nylonstrumpfhose, die wir uns über den Kopf ziehen sollten.
»Gut mitgedacht«, lobte ich Wolle, doch Jörn hatte etwas zu meckern, nachdem er die Beschriftung auf der Packung gelesen hatte: »He, die sind blickdicht , du Idiot!«
»Hä?«, wunderte sich Wolle.
»Da steht’s: blickdicht!«, pampte Jörn ihn an und tippte auf die Strumpfhülle. »Da kann man nicht durchgucken! Wie willste irgendwo einbrechen, wenn du nicht siehst, wo du hinläufst?«
»Blödmann!«, lachte Sanne und gab ihm eine spielerische Kopfnuss. »Blickdicht heißt, dass man nicht von außen reingucken kann und nicht umgekehrt!«
»Hä?«, wunderte sich nun Jörn. »Wie: nicht reingucken? Wenn eine Frau
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