Königskinder
sie. Meine Mutter folgte ihm wie ein Gespenst auf Schritt und Tritt. Er konnte sie einfach nicht gehen lassen. Es vergingen drei Jahre, bevor er seinen Anrufbeantworter selbst besprach; bis dahin hörte ich jedes Mal, wenn ich ihn anrief, die Stimme meiner Mutter.
Ich sorgte mich um ihn, aber nicht so sehr, wie ich es wohl hätte tun sollen, muss ich gestehen. Ich war trotz meiner Hochbegabung und meines unbestreitbar überalten Lebensstils eben doch erst einundzwanzig Jahre alt. Ich war noch nicht so reif, mich meines Vaters anzunehmen. Ich versuchte ja erst, mein eigenes Leben zu formen. Obwohl es mir, so wie es war, bereits gut gefiel. Weil eben alles passte.
Oft saß ich einfach da, in unserer Wohnung, auf dem ockerfarbenen Sofa, schaute Sophie an und dachte: Was für ein Glück ich doch habe. Sie war schön. Fragil wie eine Porzellanpuppe. Sie weckte meinen Beschützerinstinkt. Sie war auch so leise. Selbst wenn sie sprach, war das manchmal fast nur wie ein leiser Hauch, der kaum ein Blatt am Baum bewegen würde. Weniger poetisch könnte man auch sagen: Sophies Stimme klang manchmal wie das Piepsen einer Maus.
Ähnlich war auch der Sex mit ihr: keiner von uns machte ein Geräusch. Es war ein filigranes Unterfangen. Langsam, zärtlich, punktgenau. Ein unendlich sanfter Vorgang. Alles andere, so fürchtete ich, würde sie zerbrechen. Nicht, dass es schlecht gewesen wäre. Oder nur einmal pro Monat. Sophie und ich hatten ein Sexleben, das man sicher als gesund und regelmäßig bezeichnen könnte. Es war harmonisch. Ja, genau: Wir hatten harmonischen Sex.
Ich war nervös gewesen, als ich Sophie zum ersten Mal meinem besten Freund Hassan vorstellte. Hassan, der sich im Lauf der Jahre beim Jiu-Jitsu veritable Muskeln antrainierte, der eine Lehre als Fliesenleger abgeschlossen hatte und nun (zumeist unter kühner Missachtung der steuerlichen Meldepflicht) als Handwerker für alle Fälle arbeitete. Hassan, der so laut und poltrig war wie eh und je, unfassbar direkt, rüde, aber herzlich und der nach wie vor hinter jedem Rock her war und nach erfolgreicher Eroberung ganz selbstverständlich falsche Telefonnummern verteilte. Wie würde meine filigrane Freundin auf so einen brachialen Hallodri reagieren?
Wir hatten uns in einer Kneipe getroffen, und nach einer Stunde hatte Hassan seine große, sehnige Hand auf Sophies Porzellanschulter gelegt und sich mir zugewandt. »Alter, da haste aber einen Volltreffer gelandet!«, sagte er. »Ich hatte echt Angst, die wäre voll die Zickenfotze. Wo ihr Alter doch so reich ist und so.« Und dann hatte er Sophie angesehen und gesagt: »Du bist echt ’ne coole Frau. Der Pisser da«, er nickte grinsend zu mir herüber, »hat dich gar nicht verdient.«
Als Sophie nur ganz kurz, für einen unsensiblen Klotz wie Hassan vermutlich unmerklich, zusammenzuckte und meinem besten Kumpel dann ein freundliches Lächeln schenkte, liebte ich sie noch mehr. Sie war so souverän.
Mit den Hochzeitsvorbereitungen war ich kaum beschäftigt. Ich versuchte unter zunehmendem Druck, den Spagat zwischen meinem Studium und der Arbeit für Walter zu bewerkstelligen. Manchmal saß ich bis nachts um drei am Schreibtisch im Wohnzimmer und brütete über komplexen Statik-Berechnungen, schlief danach bloß vier Stunden und machte mich dann eilig auf den Weg ins Büro, wo Walter mir die Regie über ein erstes kleines Projekt übertragen hatte. Ich war – unter seiner strengen Überwachung natürlich – zuständig für einen kleinen Reihenhaus-Neubau in Hamburg-Berne. Wochenlang verhandelte ich mit den verschiedenen Besitzern der alten Eigenheime und Grundstücke. Es stellte sich heraus, dass ich darin ziemlich gut war; zwei der Häuser, die wir abreißen wollten, konnte ich zu einem Preis erstehen, der fast zwanzig Prozent unter der von Walter veranschlagten Summe lag. Als Bonus schenkte mir mein zukünftiger Schwiegervater für diese Einsparung einen VW-Golf.
Während ich also schrittweise und nahezu unbewusst meine Leidenschaft für die Architektur zurückstellte, um mein unbestreitbares Talent für Planung und Finanzierung auszubauen, suchte Sophie nach einer geeigneten Kirche für unsere Hochzeit, sprach mit Catering-Firmen, Floristen und Musikern.
Ich hatte Hassan gebeten, mein Trauzeuge zu sein, und zu meiner Überraschung zeigte er Anzeichen von echter, sentimentaler Rührung. Es war fast schon niedlich: Dieser klotzige Macho-Kerl nahm seine Aufgabe so ernst, dass er sich mit großer
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