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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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wurde mir schwindelig. Langsam, ganz langsam, begriff ich, was da eben geschehen war. Und aus Schock wurde Wut. Ich war so unsagbar wütend, dass ich am liebsten zurückgestürmt wäre und sowohl Sophie als auch Hassan quer durch die Wohnung geprügelt hätte. Was sich zumindest im Falle Hassan natürlich als Ding der Unmöglichkeit erwiesen hätte. Und im Fall Sophie natürlich auch. So war ich eben nicht.
    Ich spürte, dass mein Kopf tiefrot anlief. Ich ballte meine Fäuste. Ich kniff meinen Mund zusammen, dass meine Zähne knirschten.
    Ich würde das nicht einfach so schlucken! Ich würde mich rächen! Ich würde … ich würde … Ich würde jetzt in meinen Wagen steigen und irgendwohin fahren und … ich würde jetzt eine Frau ficken! Eine wildfremde Frau! Einfach so. Hart und wild und natürlich von hinten, so doll ich konnte, doller als Hassan! Wenn es das ist, was Frauen wollen – bitte schön, das kann ich auch! Und ich würde es Sophie hinterher erzählen. In allen Details! Ich würde es ihr entgegenschreien, wie ich eine wildfremde Frau fast besinnungslos gevögelt hatte! Ha! Die würde sich umschauen! Die würde sich wundern, die verdammte Schlampe!
    Es tat gut, wie ich meine Wut zuließ. Es befreite mich. Ich wusste, was ich zu tun hatte, und das gab mir etwas Würde zurück.
    Jetzt musste ich nur noch eine Frau finden, die freundlicherweise bereit war, mit mir energischen Geschlechtsverkehr zu praktizieren. Ich überlegte kurz, wo sich solch ein weibliches Wesen wohl finden ließe, stieg dann in meinen Wagen und fuhr konsequenterweise in Richtung Reeperbahn.
    *
    Mein lieber Unbekannter, ich bin mir ziemlich sicher, dass Du das jetzt nicht verstehst. Dass Du Dich fragst: Warum heult die Alte denn? Seit Ewigkeiten liebt sie diesen Mann und jetzt, wo er mit ihr zusammenleben möchte, ist das plötzlich eine schlechte Sache?
    Aber das hat mit Logik nichts zu tun. Ich kann dir nicht mal sagen, ob meine Mutter an diesem Tag vor Glück weinte oder vor Angst. Wahrscheinlich war es beides. Es war einfach etwas, was in ihr explodierte. Fünfundzwanzig Jahre lang war sie verrückt nach diesem Mann gewesen, hatte ihn begehrt und verehrt, angehimmelt, gehasst und geliebt, verstoßen und herbeigesehnt, sich nach ihm verzehrt, während sie gleichzeitig versuchte, ihn abzuschütteln. Und dann, auf einmal, ohne Vorwarnung, das! Natürlich weinte sie da.
    Alabama Karl hatte sich in den letzten Jahren verändert. Er ging nicht mehr auf große Tourneen, sondern spielte nur noch auf norddeutschen Gigs. Seine Brötchen verdiente er vorwiegend als Mädchen für alles in der Hamburger Fabrik: Er riss in dem legendären Kulturzentrum in Altona abends die Eintrittskarten ab, sammelte während der Konzerte die leeren Gläser und Flaschen ein, half auch mal hinter dem Tresen aus, unterstützte die kleineren Bands, die keine eigenen Roadies hatten, beim Aufbau des Equipments und beim Soundcheck. Er war aus seiner WG ausgezogen und hatte ein paar Straßen weiter eine Zwei-Zimmer-Wohnung bezogen. Auch da lagen Comics im zumeist nur notdürftig geputzten Klo, wobei mein Vater im Lauf der Jahre von Donald Ducks Abenteuern auf Lucky Luke umgesattelt hatte. Alabama nahm viel weniger Drogen als früher, und da er nicht mehr als fahrender Musikant durch die Welt tingelte, hatten wir es tatsächlich geschafft, ein kleines, regelmäßiges Vater-Tochter-Ritual einzuführen. Fast jeden Sonntag trafen wir uns im Café Schöne Aussichten zum Frühstück und gingen danach für ein Stündchen in den Wallanlagen spazieren. Es ist etwas seltsam, so etwas über seinen eigenen Erzeuger zu sagen, zumal wenn er, wie Alabama Karl, ein ziemlich wettergegerbter, knorriger und zunehmend faltiger Typ war, dessen langes Haar inzwischen fast vollständig ergraut war, aber so war es nun mal: mein Papa wurde langsam erwachsen. Über seine Pläne bezüglich meiner Mutter hatte er mich aber bei keinem unserer Spaziergänge eingeweiht. Nicht einmal eine Andeutung hatte er gemacht!
    »Er will dich heiraten? «, rief ich fassungslos. Meine Mutter nickte.
    »Er hat sich wahrhaftig vor mich hingekniet und tatsächlich ›Ich liebe dich‹ gesagt«, flüsterte sie, und dabei lächelte sie nun doch endlich ein bisschen. Zaghaft und zweifelnd, ob ein Lächeln angesichts blauer Rosen und plötzlich bindungsfähiger Männer tatsächlich angebracht war.
    Ich musste lachen. »Hingekniet?«, rief ich. »Ohne Scheiß?«
    Jetzt lachte auch meine Mutter. »Ich musste ihm

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