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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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sagte die Frau hinter dem Tresen und zeigte auf das Schild an der Tür. Tatsächlich: Die Öffnungszeit war von zehn Uhr morgens bis neun Uhr abends. Im Winter sogar nur bis acht.
    »Oh«, sagte ich.
    »Du kommst einfach morgen wieder, am besten schon so um sechs rum, und dann gibst du uns allen einen aus. Das gehört sich nämlich so, Herr Nachbar!«, grinste der junge Mann, der mir den Handwerker-Vorwurf gemacht hatte.
    »Klar«, sagte ich. »Logo.«
    Alle schauten mich immer noch an. Die meisten amüsierten sich sichtlich über den Großstadt-Trottel.
    Ich ging rückwärts zur Tür, hob noch einmal schusselig die Hand und sagte: »Ja, bis morgen Nachmittag dann also …«
    Die Linstahner Kernbevölkerung verabschiedete mich lachend, während ich ins Freie stolperte.
    Ich stand ratlos am Rande von Nirgendwo. Es war fünf Minuten nach neun.
    Und was jetzt?
    Es donnerte und ein unglaublicher Platzregen brach los. In den letzten Tagen war das keine Seltenheit, was mich allerdings dummerweise auch nicht dazu motiviert hatte, einen Schirm mitzunehmen.
    Ich rannte durch die peitschenden Wassermassen nach Hause – obwohl sich der Hof noch nicht wirklich nach einem Zuhause anfühlte –, zog mich dort aus, sprang unter die Dusche, zog mir trockene Klamotten an, hockte mich dann mit einer Bierflasche in der Hand auf die Matratze, die in Ermangelung von Möbeln, die erst noch gekauft werden mussten, einsam in der Mitte des Wohnzimmers lag, und schaltete den Fernseher ein. Den hatte ich aus Hamburg mitgebracht und gleich angeschlossen.
    Die Titelmusik von Akte X erklang. Mulder und Scully verschlug es in der Folge, die nun gezeigt wurde, in ein gottverlassenes Kaff, in dem die Bewohner ein schreckliches Geheimnis mit sich herumzutragen schienen. Es lag Gefahr in der Luft.
    Ich verfolgte die übersinnliche Spurensuche der beiden FBI-Ermittler nur halbherzig, als ich plötzlich ein Kratzen hörte. Mäuse? Darauf war ich vorbereitet. So etwas gab es auf alten Höfen. Das konnte man in jedem Heimatfilm sehen. Doch dann bemerkte ich, dass das Kratzen von der Terrassentür kam. Jemand – oder etwas  – kratzte an der Scheibe. Ich erhob mich zögernd, nahm die Bierflasche, die mir notfalls als Waffe dienen könnte, und ging langsam auf die Glastür zu. Ich erinnerte mich plötzlich an den alten Film Wer Gewalt sät mit Dustin Hoffman: Darin marschierte die gesamte Bewohnerschaft eines gottverlassenen Kaffs nachts vor dem Haus des neu zugezogenen Großstädters auf, um ihn zu töten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass meine ungeschickte Vergabe von Handwerksaufträgen für die braven Leute von Linstahn ausreichen würde, sich in einen blutrünstigen Mob zu verwandeln, und eine leise Stimme der Vernunft in meinem Kopf informierte mich zudem, dass mordgierige Massen nicht dezent an einer Türscheibe kratzen, sondern buchstäblich mit ebenjener Tür ins Haus zu fallen pflegten. Doch ein mulmiges Gefühl blieb.
    Da war es wieder: das Kratzen. Es kam von unten. Als ob der Mob sich flach auf den Boden meiner Terrasse gequetscht hätte. Vielleicht doch eine Maus? Ich bückte mich – und jetzt sah ich sie: Eine süße, kaffeebraun getigerte Katze schaute mich mit großen Augen an, während sie zaghaft mit der Pfote gegen das Glas klopfte! Ich öffnete die Tür, und die patschnasse Katze kam sofort ins Haus geschossen und strich mir laut schnurrend um die Beine. Dann schüttelte sie sich.
    Sie trug kein Halsband und der nächste Nachbar wohnte so weit entfernt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Katze von dort käme. Wahrscheinlich hatte sie dem Vorbesitzer des Hofes gehört, und er hatte sie einfach hiergelassen. Oder sie war ein Streuner. Ich ging in die Küche und nahm eine Scheibe Geflügelmortadella aus der Tupperware im Kühlschrank. Die Katze verschlang sie gierig.
    Später lag ich auf meiner Matratze. Im Fernseher lief Profiler , draußen prasselte der Regen nieder, neben mir lag eine feuchte Muschi.
    Was wollte ich mehr?
    *
    Für einen kurzen Moment hatte es so ausgesehen, dass wir den Dreh verschieben würden. Die Landesregierung Brandenburgs hatte eine Hochwasserwarnung herausgegeben. Es bestand offenbar die vage Gefahr, dass einer der Oder-Deiche einen Riss bekommen könnte. Doch der Regisseur, der hier sein Debüt gab und lange um diesen Auftrag gekämpft hatte, überredete die Produzenten des TV-Films, die Aufnahmen wie geplant durchzuführen.
    »So ein bisschen Regen passt ganz gut in die Szenen«,

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