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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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stürmte hinaus. Zuerst würde ich im Stall suchen.
    *
    Nachdem niemand auf mein Klingeln und Klopfen reagiert hatte, ging ich einmal um das ganze Hauptgebäude. Als ich sah, dass die Bewohner notdürftig – um nicht zu sagen: tollpatschig – die Terrassentür mit zwei Brettern zu schützen versucht hatten, musste ich einsehen, dass sie vermutlich längst geflohen waren. Die Glücklichen! Der Sturm hatte mittlerweile eine Wucht angenommen, die mir richtig Angst machte. Und weil dies ein Notfall war, weil ich unmöglich unter diesen Bedingungen zurück zur Gaststätte hätte laufen können und weil kein Richter mich dafür verknacken würde, schob ich eines der beiden Bretter zur Seite, nahm einen der randvoll mit Regenwasser gefüllten Terrakottatöpfe, die auf der Terrasse standen, leerte ihn aus, schmiss ihn kurzerhand durch die Fensterfront, die krachend zerbarst, und rettete mich in die Sicherheit des Gebäudes.
    Das Haus war fast völlig leer. Bloß eine Matratze, ein Fernseher und ein paar Kartons. Entweder waren die Bewohner gerade erst dabei, hier einzuziehen, oder sie zogen gerade aus. Egal: Hier würde ich bleiben. Keinen Schritt würde ich mehr nach draußen machen!
    *
    Auch der Stall war nahezu leer. Der Vorbesitzer hatte nur ein paar Maschinen, deren Funktionsweisen sich mir nicht erschlossen, zurückgelassen. Ich hatte überlegt, in diesem Stall eine Art wissenschaftliches Mini-Museum aufzubauen, eine kleine Experimental-Ausstellung, in der Schulklassen und interessierte Touristen (falls es in Linstahn so etwas gab) zum Beispiel mit Muskelkraft eine Glühlampe zum Leuchten bringen konnten. Ein Ort, an dem sie erstaunliche Phänomene aus den Bereichen Licht, Akustik und Mechanik erleben konnten. Jetzt aber schien es wahrscheinlicher, dass ich aus dem Stall ein Hallenbad machen würde. Entsetzt bemerkte ich, dass ich schon bis zu den Waden im Wasser stand. Und es stieg rasant!
    O Gott, es ging mir schon fast bis zu den Knien! Der Deich musste gebrochen sein.
    Es tat mir in der Seele weh, aber ich würde die Katze nicht retten können. Da ich als Kind eine eigene Katze gehabt hatte, wusste ich, dass man diese Tiere unmöglich fand, wenn sie sich versteckten. Aber ich beruhigte mich damit, dass alle Tiere aus der Obergruppe der Feloidea einen ausgeprägten Überlebensinstinkt besaßen. Katzentiere waren zäh und clever. Muschi würde überleben! Eher als ich, wenn ich weiterhin in diesem Stall stehen bleiben würde.
    Ich würde zurück ins Haus laufen, mich ins Obergeschoss, wenn nötig, sogar bis aufs Dach retten und darauf warten, dass mir jemand zu Hilfe kam.
    *
    Zu meinem Entsetzen merkte ich, dass das Wasser längst bis ins Haus vorgedrungen war. Der Deich musste vor den Fluten der Oder kapituliert haben! Ich rannte die Treppe hinauf ins Obergeschoss; wenn nötig, würde ich bis auf das Dach klettern. Vielleicht würde mich ein Hubschrauber retten. Das wäre irgendwie cool.
    *
    Ich watete ächzend und mit enormem Kraftaufwand durchs Wasser bis zum Stalltor. Die Fluten reichten mir nun schon bis zu den Oberschenkeln. Mir war zwar theoretisch bewusst, wie unglaublich schnell Wasser im Falle einer Überschwemmung ansteigen konnte, aber es schockierte mich dennoch, dieses Phänomen nun am eigenen, durchnässten Leib erfahren zu müssen! Entscheidend für die Dramatik einer Überschwemmung ist ja nicht nur die Menge des Wassers, die dabei wütet, sondern auch die Geomorphologie des betroffenen Gebietes. Und ohne den Brandenburgern zu nahe treten zu wollen: Geomorphologisch war ihr Land das Letzte. Ich würde tatsächlich schwimmen müssen, wenn ich das Haupthaus erreichen wollte!
    Doch das war leichter gesagt als getan. Auf halber Strecke zwischen Stall und Haus erwischte mich eine enorme Strömung und trieb mich, sosehr ich auch mit den Armen ruderte und mich abstrampelnd zu widersetzen versuchte, in Richtung Landstraße! Ich wurde einfach davongerissen wie ein Stück Treibholz und merkte, wie sich Panik in mir breitmachte. Wie oft hatte ich, wenn ich etwas Ähnliches in Filmen sah, überheblich gedacht: Nun stellt euch mal nicht so an, ihr geht doch auch ins Wellenbad. Aber es war wirklich etwas ganz anderes, wenn man sich selbst inmitten eines Chaos wiederfand, das einen töten konnte.
    Und in diesem Moment wurde es mir zum ersten Mal bewusst: Ich konnte jetzt sterben!
    Zum Glück reagierte ich instinktiv und tat das einzig Sinnvolle: Ich legte mich flach auf den Rücken und ließ mich treiben. Ich

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