Königskinder
ich freute mich total darauf! Ich war gerade mal sechs Wochen in Berlin, da schien mein Plan, ein Ziel anzuvisieren und eine Karriere anzuschieben, bereits aufzugehen!
An einem Montagmorgen um sieben wurde ich von einem Minibus der Produktionsfirma abgeholt und zum ersten Drehort gekarrt. Wir wollten in einem kleinen Kaff namens Linstahn drehen, irgendwo in Brandenburg. Und das bei dem Sauwetter, das seit Tagen herrschte.
*
Okay, da saß ich also. In Linstahn. Ein süßer Ort, ganz ehrlich. Nur war er für mich als Großstädter eben ein wenig, nun ja … gewöhnungsbedürftig. Ich war es gewohnt, wenn ich abends in die Stadt ging, zwischen siebzig Kinofilmen, fünfundzwanzig Theaterstücken und mehreren hundert Restaurants auswählen zu können. Hier würde ich mich höchstens entscheiden können, ob ich abends in der einzigen Gaststätte des Dörfchens ein großes oder ein kleines Bier zischen würde.
In meiner Metropolen-Arroganz stellte ich mir Linstahn wie eines dieser Dörfer vor, wo jeder alles über jeden weiß und manchmal auch Verwandte einander heirateten, weil einfach niemand anderes zur Auswahl steht.
Ich stellte mir vor, wie ich in das örtliche Wirtshaus, das vermutlich »Zum Ochsen« oder »Beim Hopfenwirt« hieß, treten würde und all die wettergegerbten Männer und Frauen, die sich hier von der harten Arbeit auf dem Feld erholten, unverzüglich das Gespräch unterbrechen und mich, den Neuen aus der großen Stadt, anstarren würden – natürlich nur, um mich dann herzlich in ihrer Mitte aufzunehmen. Kurz: Ich erwartete, direkt in einen Heimatfilm der fünfziger Jahre zu stolpern. Vor meinem geistigen Auge trugen alle Linstahner Männer eine Trachtenjacke und alle Frauen Dirndl. Ich stellte sie mir sogar mit bayerischen Dialekt vor, denn für Hamburger sind nun mal alle Dorfbewohner Bayern, weil ja unserer Meinung nach unter (und auch östlich von) Hannover Süddeutschland anfängt.
Ich war ein Idiot.
Als ich in den einzigen Gasthof von Linstahn eintrat, dröhnte mir keine Blasmusik entgegen, sondern Teenie-Sängerin Blümchen , die »Nur geträumt« trällerte. Statt dem Sepp mit der Kuhscheiße am Gummistiefel und der Zenzi mit den dicken Zöpfen saßen an den Tischen ganz normale Menschen. Immerhin: Alle unterbrachen tatsächlich ihre Gespräche und schauten mich neugierig an.
»Guten Abend«, sagte ich und hob etwas spackig die Hand zum Gruß.
Diverse »N’Abends« kamen zurück.
Müsste ich mich als Mensch aus der großen weiten Welt nun vorstellen und den Ureinwohnern den Grund meiner Anwesenheit erklären? Hätte ich bunte Perlen als Gastgeschenk und Tauschware mitbringen müssen?
Ich zögerte.
Alle glotzten.
Das Schweigen war ohrenbetäubend.
»Sind Sie von den Fernsehleuten?«, fragte schließlich eine Frau von einem der Tische.
»Fernsehleute?«, wunderte ich mich.
»Nee, die kommen erst morgen«, sagte ein dicker Mann, der am Tresen saß.
»Dann sind Sie der aus Hamburg, oder?«, fragte ein junger Kerl mit Stoppelfrisur.
»Äh, ja«, antwortete ich.
»Warum haben Sie die ganzen Renovierungsarbeiten am Hof denn von den Leuten aus Brieskow-Finkenheerd machen lassen«, wollte er wissen, und seine Stimme war offen feindselig. »Wir haben hier nämlich auch Handwerker, wissen Sie! Hätten uns gutgetan, die Aufträge.«
Alle schauten mich an.
Ich war verwirrt. Linstahn hatte exakt neunundsechzig Einwohner. Es war mir naheliegend erschienen, meine Helfer im nächsten größeren Ort zu suchen. Das war offensichtlich ein Fehler.
»Ich habe im Branchenbuch keinen Handwerksbetrieb in Linstahn gefunden«, sagte ich entschuldigend.
»Man braucht keinen Betrieb, um ein Handwerker sein zu können«, rief ein Mann. »Dann müsste man ja Steuern zahlen!«
Allgemeines Gelächter.
Ich stand immer noch mitten im Raum und wünschte mich in eines der fünftausend Restaurants von Hamburg, wo keine Sau mich kannte und sich niemand für mich interessierte.
Aber das Leben ist kein Wunschkonzert.
»Tja, also …«, stammelte ich und bewegte mich auf den Tresen zu. »Ich nehme dann mal ein Bier!«
Die Gastwirtin schaute mich kopfschüttelnd an. »Wir machen gleich zu.«
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war kurz nach neun Uhr am Abend.
»Hören Sie, es tut mir wirklich leid, dass ich die Handwerker …«, begann ich stotternd zu erklären. »Aber es gibt bestimmt noch mehr zu tun an meinem Hof, und dann werde ich selbstverständlich …«
»Wir schließen immer um neun«,
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