Königskinder
Francesca nicht gut auf mich zu sprechen. »Ich hab dich empfohlen«, sagte sie. »Das fällt doch voll auf mich zurück, wenn du dich benimmst wie eine Irre.«
»Es tut mir wirklich leid«, hatte ich versucht, mich zu entschuldigen, aber das akzeptierte Francesca nie. Danach dauerte es nur noch ein paar Monate, bis ich nicht mehr in der Lage war, mit ihrer schweigenden Missbilligung zu leben. Wir stritten uns nicht, das Thema kam nie wieder zur Sprache und für Außenstehende wirkte unser Umgangston sicher nicht ungewöhnlich. Aber ich spürte dieses kleine, feine Sirren der Unsympathie, das von ihr ausging, sehr wohl. Ich versuchte, die Situation mit frontaler Freundlichkeit wieder geradezubiegen, doch irgendwann gab ich auf. Francesca war einfach zu nachtragend. Zu alledem entwickelte Ina auch noch eine immer stärker werdende Katzenallergie. Also zogen Seth und ich aus.
Ich hatte für meine Mitbewohnerinnen am letzten Abend noch etwas kochen wollen, ein kleines Abschiedsdinner, doch Francesca sagte nur knapp, sie würde gerade Weight-Watchers -Punkte zählen, und da hätte ihr meine fetttriefende Lasagne gerade noch gefehlt. Ina war dagegen auf einem Krankengymnasten-Fortbildungskurs für Kniegelenk-Problemlösungen irgendwo in Süddeutschland.
Ich schloss die Tür meiner Nun-Ex-WG hinter mir zu und warf den Schlüssel in den Briefkasten. Auf zu neuen Ufern!
Meine nächste WG war allerdings eine Falle. Doch das begriff ich erst nach einer Weile. Genau genommen begriff ich es am 31. 12. 1999 um 21 Uhr 35.
Aber der Reihe nach: Nach dem Zickenfrust in der letzten Wohngemeinschaft beschloss ich, diesmal wohntechnisch vollständig auf die Spezies Mann zu setzen. Ich suchte ganz gezielt nach Annoncen, in denen Kerle Mitbewohner/innen suchten. Ich war mir im Klaren darüber, dass ich in einer Jungsbude wieder mit der Toilettenhygiene-Problematik konfrontiert werden würde, mit Unordnung und Unzuverlässigkeiten aller Art, aber ich hoffte bei meiner Wahl auch in den Genuss der positiven männlichen Charaktereigenschaften zu kommen. Männer sind meiner Erfahrung nach nämlich meist gelassener als Frauen und viel weniger empfindlich – nicht zuletzt deshalb, weil sie mit ihren schlecht justierten emotionalen Sensoren gar nicht erfassen, wenn die Stimmung schlecht ist.
Manchmal wünschte ich mir, ein Mann zu sein. Ehrlich! Es muss wunderbar unkompliziert sein, über so wahnsinnig viele Dinge nicht nachdenken zu müssen. Es ist doch erschreckend, was ständig in Frauenhirnen herumkreist. Fragen und Sorgen wie: Was hatte dieser Blick da eben zu bedeuten? Warum hat er diesmal kein zwinkerndes Icon in seine E-Mail gemacht? Er macht doch sonst immer zwinkernde Icons in seine E-Mails! Ist er sauer auf mich? Habe ich ihm etwas getan? War da ein schnippischer Unterton in ihrer Stimme? Hätte ich zu X nicht sagen dürfen, was Y mir erzählt hat? Männer fragen sich so etwas nicht. Männer interessieren sich nicht für Verhaltensdetails und emotionale Schwingungen.
Andererseits: Wenn ich ein Mann wäre, müsste ich mich ganz doll darüber ärgern, wenn mein Fußballverein vom Abstieg bedroht ist. Ich müsste außerdem die PS-Zahl des neuen BMW-Modells nicht nur kennen, sondern tatsächlich auch interessant finden – besonders im Direktvergleich zu den neuen Modellen von Audi und VW. Und irgendwann, so ab Mitte 50, würde mir das Pinkeln weh tun. Das ist auch nicht gerade erstrebenswert, oder?
Die beiden Männer, in deren schöne Vierzimmer-Altbauwohnung in Charlottenburg ich zog, hießen Olaf und Bert. Olaf arbeitete in einer Software-Firma, die Graphikprogramme herstellte. Bert war Projektleiter bei einer Unternehmensberatung. Er konzipierte irgendein Buchungsprogramm für eine Speditionsgruppe. Die Berufe der beiden ließen mich hoffen, dass sie halbwegs ordentlich und sauber waren und gaben mir zudem die Gewissheit, dass ich mich in keinen von ihnen verlieben und den Sachverhalt somit (wieder einmal) unnötig komplizieren würde. Ich und ein Computerexperte? Das war eine völlig abwegige und undenkbare Konstellation!
Doch schnell stellte sich heraus, dass unsere Dreier-WG gar keine war. Bert war nur am Wochenende in Berlin, da er von Montag bis Freitag bei seinem Speditionskunden in Freiburg arbeitete. Manchmal kam er selbst am Wochenende nicht heim, weil er stattdessen lieber gleich da unten zum Skifahren oder Trekking blieb. So lebte ich also mit Olaf allein, der ein netter, gutaussehender Typ war. Und ein
Weitere Kostenlose Bücher