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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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gab mich den Elementen hin, anstatt meine Kraft sinnlos zu verschwenden. Manchmal war der Verzicht auf Widerstand eben die einzige Chance auf Rettung.
    *
    Ich war bis zum Dachboden hinaufgerannt. Dort hockte ich nun, zwischen Spinnweben und einem hoffentlich nicht bewohnten Wespennest im Gebälk, und schaute durch ein kleines, dreckverschmiertes Fensterchen nach unten. Es war unglaublich: Der ganze Hof stand unter Wasser! Von dem Auto war nur noch das Dach zu sehen!
    Doch was war das? War das ein Mensch? Für einen kurzen Moment dachte ich, ich würde einen Mann hilflos durch die Fluten treiben sehen, doch dann wurde mir klar, dass der Gegenstand völlig starr und ruhig von den Fluten mitgerissen wurde. Kein Mensch war so blöd, sich nicht retten zu wollen. Es war wahrscheinlich nur ein dicker Ast oder ein Baumstamm.
    Und dann hörte ich ein leises Miauen hinter mir.
    *
    Nach einer Ewigkeit erreichte ich – halb von der Strömung getrieben, halb mich ihr mit Muskelkraft widersetzend – den Ortskern von Linstahn. Wenn man die paar Häuschen denn so nennen möchte.
    Ich schaffte es, mich bis zum Gasthof vorzukämpfen, der ein Stück erhöht stand und deshalb noch nicht ganz in den Fluten versunken war. Da musste ich rein! Leider versperrten mir geschlossene Türen und Fenster den Zugang. Wo sind Baseballschläger, wenn man sie braucht? Ich zerrte mit eiskalten, zitternden Armen ein Fahrrad heran, das an mir vorbeitrieb, und schlug, was nicht ganz einfach war und wobei ich mir halb die Schulter ausrenkte, eine Scheibe damit ein. Mit letzter Kraft versuchte ich, in das Gebäude zu klettern, und bemerkte kaum, dass ich mir dabei einige kleinere Schnittwunden zuzog.
    Das Wasser stand bis zum Tresen hoch. Ich strampelte ein Stück ins Innere – und wurde dann von mehreren Armen gepackt.
     
    Ein Filmteam, das ursprünglich in Linstahn drehen wollte, hatte sich, als das Wasser stieg, in die Privatwohnung der Wirtin im ersten Stock geflüchtet. Durch das Krachen der Scheibe waren sie auf mich aufmerksam geworden; drei Mitglieder des Teams zogen mich nach oben in die Wohnung, wo ich kraftlos zusammenbrach. Man hob mich an und legte mich auf ein Sofa. Dort lag ich keuchend, klitschnass und frierend. Nur bei halbem Bewusstsein bekam ich noch mit, dass die Filmleute in heller Aufregung waren. Sie vermissten offenbar ein Mitglied ihres Teams, das plötzlich verschwunden war.
    Dann fielen mir die Augen zu. Ich weiß nicht, ob es Erschöpfung war oder eine Ohnmacht.
     
    Ich kam erst wieder zu mir, als alles vorbei war. Das Wasser stand noch kniehoch in den Straßen, aber der Himmel hatte sich aufgeklart. Das Schlimmste war vorbei.
    Ich blinzelte und sah einen weinenden Mann, der auf dem Boden hockte. Es war der Regisseur, wie ich später erfuhr. All das belichtete Filmmaterial, das im Wagen des Teams gelegen hatte, war durch die Wassermassen zerstört worden. Zwei komplette Drehtage waren umsonst gewesen, berichtete mir der Mann. Man würde das Projekt kippen. Alles war umsonst. Alles war vorbei. »Niemand auf der Welt hat so ein Pech wie ich«, lamentierte er.
    »Darauf würde ich nicht wetten«, entgegnete ich mit Galgenhumor. Er tat mir leid, der Regisseur, ja. Aber ich war selbst noch schlechter dran: Mein Hof war nicht versichert gewesen. Ich hatte die Formalitäten mit der Versicherungsgesellschaft zwar längst angeleiert, aber noch nichts unterschrieben. Wer konnte denn schließlich ahnen, dass mein neues Zuhause gleich am Tag meines Umzuges dasselbe Schicksal wie Atlantis ereilen würde?
    Plötzlich konnte ich nicht anders: Ich kicherte los.
    »Finden Sie das lustig?«, herrschte der Regisseur mich an. »Ich bin am Ende, Mann!«
    »Und ich«, gluckste ich, obwohl es streng genommen natürlich alles andere als komisch war, »ich bin absolut, vollkommen und ohne jede Einschränkung pleite!«
    Prustend gab ich mich meiner Verzweiflung hin. Die Realität konnte mich mal! Irgendwann schloss ich die Augen und fiel schon bald zurück in einen erschöpft-frustrierten Dämmerzustand.
    Als ich Stunden später wieder erwachte, war das Filmteam verschwunden.
    *
    Ein Hubschrauber kam nicht, dafür aber ein Schlauchboot. Ich war auf dem Dachboden eingeschlafen und wurde erst durch eine laute, verzerrte Stimme geweckt.
    »Hallo!«, rief die Stimme. »Ist da jemand?«
    Ich erhob mich hastig und erschreckte damit die süße Katze, die sich beim Schlafen offenbar an mich gekuschelt hatte und nun einen riesigen Satz von mir weg machte.

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