Königskinder
toller Koch. Seine Spezialitäten waren tolle Thai-Nudeln, raffinierte Gratins, ungewöhnliche Salatspezialitäten. Noch dazu legte er eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit an den Tag. »Hallo, Simone, schön, dass du da bist«, begrüßte er mich regelmäßig, wenn ich durch die Tür trat. »Das ist ja ein super Zufall, dass du gerade jetzt kommst. Ich hab in diesem Moment das Essen fertig und mich total in der Menge verschätzt. Das reicht locker für zwei!«
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich keineswegs zufällig in den Genuss dieser Dinner kam. Tatsächlich bereitete Olaf die Speisen punktgenau zu: Er kannte meinen Terminplan, und er hörte sehr aufmerksam zu, wenn ich beiläufig meine Vorlieben und Abneigungen erwähnte. So traf er mit jedem Essen mehr meinen Geschmack und hatte – ganz zufällig! – immer auch die exakt richtige CD im Player. Normalerweise hörte Olaf am liebsten schrammeligen Hardrock-Pop von älteren Herren mit langen Haaren und engen Hosen. Er fand zum Beispiel allen Ernstes, dass Foreigner eine Supergruppe sei und dass die Stücke von ZZ Top und Status Quo echt abwechslungsreich seien. »Man muss nur genau hinhören«, behauptete Olaf, »dann erkennt man die Nuancen.« Doch wenn er mit mir dinierte, erklang plötzlich der keltische Elfengesang von Loreena McKennitt aus den Lautsprechern oder der anarchische Schunkelpunk von Chumbawamba . Er musste diese CDs extra gekauft haben. Alles nur für mich! Olaf zündete sogar Räucherstäbchen an, um mein Hippie-Herz zu erwärmen, obwohl ich durchaus bemerkte, dass er, sowie ich sein Zimmer verließ und mich in meinem eigenen Bett schlafen legte, eilig die Fenster aufriss und bis morgens durchlüftete.
Ich fand es echt rührend und schmeichelhaft, wie er sich abstrampelte, um meine Gunst zu gewinnen. So etwas war ich weiß Gott nicht gewohnt.
Ich begann, mich auf unsere gemeinsamen Essen zu freuen; wir plauderten nett und ich genoss es ungemein, dass Olaf viel zuhörte und wenig erzählte, dass er aufrichtig interessiert daran war zu erfahren, wie meine Tage verlaufen waren und in welche Richtungen sich meine Gedanken bewegten. Olaf tat mir gut. Und obwohl er eigentlich nicht mein Typ war und mich nicht gerade erotisch in Flammen setzte, begannen wir, miteinander zu schlafen. Ich fand irgendwie, das hatte er sich verdient.
Auch beim Sex galt: Olafs Aufmerksamkeit war beträchtlich. Wenn ich ihm nach vollzogenem Geschlechtsakt ein Zeugnis hätte ausstellen sollen, hätte darin so etwas gestanden wie: Olaf beweist große Kompetenz in den meisten Bereichen. Er hat sich zweifelsohne intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und erledigt alle Aufgaben mit großem Eifer und unbeirrbarer Konzentration. Wobei man sich darüber streiten kann, ob permanente Nachfragen wie »Ist das auch echt gut so?« und »Ist das nicht zu hart?« wirklich antörnend sind. Olaf war ein Orgasmus-Vortritts-Lasser, was ich durchaus freundlich fand, was mich aber auch ein bisschen störte, weil er seine eigene Lust offenbar so gut unter Kontrolle hatte, dass ich mich zu fragen begann, ob ich ihn womöglich nicht genug erregte. Das kratzte an meinem Ego.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ohne dass ich es wollte, ohne dass ich richtig kapierte, wie es geschah, waren wir ein Paar geworden. Olafs Zimmer war unser Wohnzimmer geworden, mein Zimmer unser gemeinsames Schlafzimmer und unsere freundschaftlichen Essen gediegene Routine: »Schatz, wenn du später nach Hause kommst als geplant, dann ruf doch bitte kurz durch«, tadelte er mich zum Beispiel mit seiner ruhigen, rationalen Stimme. »Wenn ich weiß, dass du dich verspätest, setze ich doch die Tagliatelle noch nicht auf.«
Er nannte mich wirklich Schatz!
Wir gingen abends zusammen aus, wir trafen uns mit seinen Freunden, wir planten sogar, gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Eigentlich war es genau das, was ich wollte: behagliche Zweisamkeit. Nur dass ich sie mit einem Mann erlebte, der mich – wenn ich ganz ehrlich war – nicht die Bohne interessierte.
Ich rutschte immer tiefer in eine Beziehung, die ich eigentlich gar nicht wollte, fand aber keinen Anlass, die Notbremse zu ziehen. Es gab nämlich nichts, was offenkundig gegen unser Arrangement sprach, außer, dass ich nicht mit dem Herzen dabei war. Alles war echt nett. Meine Beziehung zu Olaf war bequem, freundlich und harmonisch. Ladidadi, pillepalle, trallalla. Bis ich am 31. 12. 1999 unsanft aus diesem Dämmerschlaf geweckt wurde.
*
Menschenmassen
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