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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Dann rannte ich zu dem kleinen Fenster.
    Ein Mann mit Megaphon und zwei Männer mit Rudern saßen in einem großen, orangefarbenen Gummiboot. Ich riss das Fenster auf und rief hinunter: »Hier bin ich! Ich komme!«
    Ich schnappte mir die Katze, die nicht protestierte, als ich sie in den Arm nahm, und rannte die Stufen hinunter. So schnell ich konnte, watete ich mit dem Tier durch das hüfthohe Wasser im Erdgeschoss auf das Boot zu, das direkt an der zerborstenen Terrassentür auf mich wartete.
    »Alles in Ordnung?«, fragte der Mann, der von irgendeiner Rettungsorganisation stammte, und mir erst die Katze abnahm und dann beim Hineinklettern half.
    »Alles super«, sagte ich, und die drei Männer lachten. Was soll ich sagen: Ich bin nun mal ein positiver Mensch.
    Man hüllte mich in eine trockene Decke und brachte mich zu dem Gasthof, wo gerade das gesamte Team in einen Bus verladen wurde. Der war tatsächlich in der Lage, durch das inzwischen nur noch knöchelhohe Wasser zu fahren. Die Katze schlief auf meinem Schoß. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ich nannte sie Seth, nach dem ägyptischen Gott des Sturms.
    Natürlich waren alle erleichtert, dass ich noch lebte. Aber man war auch stinksauer auf mich. Ich berichtete kurz, was mir widerfahren war. Danach sprach während der gesamten Fahrt keiner mehr ein Wort mit mir.
    Das war sie also, meine Filmkarriere.

Kapitel 15
    1999
    I ch lebte inzwischen in Berlin. Nach dem Brandenburger Flut-Fiasko habe ich eingesehen, dass ich zum Dasein in der Provinz nicht tauge. Wenn ich aber nach Hamburg zurückgekehrt wäre, hätte ich das Gefühl gehabt, als ob ich kapitulieren würde.
    Mein Hof war im Eimer. Die Bausubstanz hatte unter den Wassermassen enorm gelitten, es gab gravierende Schäden am Dach. Der Stall, der nur aus Holz war, musste abgerissen werden. Und die Versicherung zahlte natürlich nichts. Was nicht unterschrieben war, hatte keine Gültigkeit.
    Ich verkaufte das Grundstück zu einem lächerlich geringen Preis an einen Immobilien-Investor in Berlin. Den kannte ich noch von früher; er war genauso ein Haifisch wie Walter. Wenn ich einige Jahre gewartet hätte, wäre vermutlich das Doppelte, wenn nicht sogar das Dreifache für das Grundstück herausgesprungen. Doch bis dahin hätte mich die Grundsteuer für die brachliegende Immobilie in den Ruin getrieben.
    Ich hatte nun ein mild beruhigendes, kleines finanzielles Polster auf dem Konto, von dem ich immer dann etwas abzwackte, wenn mein normales Einkommen nicht reichte.
    Ich arbeitete als Taxifahrer. Weil mir nichts anderes einfiel, weil es schön banal war, weil ich beim Fahren viel Zeit zum Nachdenken hatte und ich mir einbilden konnte, ich würde mich zumindest irgendwie bewegen. Wenn schon nicht in meinem Leben, dann doch zumindest innerhalb der Stadt. Ich wollte nicht mehr besitzen, aufbauen, verwalten. Ich wollte nie wieder an einer Konferenz teilnehmen. Ich wollte nichts mehr berechnen und – vor allem! – nichts mehr planen. Ich habe mein ganzes Leben unermüdlich geplant. Und wo hatte es mich hingebracht? Ich war leergeplant. Ich war es leid, eine Richtung einschlagen zu müssen.
    Deshalb war das Silvesterfest 1999 für mich auch längst nicht so eine große Sache wie für den Rest der Welt. Alle gierten auf den Anbruch des neuen Millenniums. Ich nicht. Und zwar nicht nur deshalb, weil ich als mathematisch gebildeter Mensch wusste, dass rein rechnerisch das nächste Jahrtausend ohnehin erst ein Jahr später anbrechen würde, nämlich am 1. Januar 2001. Meine Sehnsucht auf das neue Jahrtausend hielt sich auch deshalb in Grenzen, weil ich mir nichts davon versprach. Ich wollte gar keinen radikalen Neubeginn, keinen spektakulären Aufbruch in eine andere Welt. Und all das würde auch nicht kommen. Genauso wenig wie dieser alberne globale Computerabsturz, den die Technikskeptiker prophezeiten. Im Ernst: Wieso sollte die Welt zusammenbrechen, wenn mein Windows-Rechner kollabiert? Nein, das Leben würde einfach so weitergehen, wie es immer weiterging. Mal auf, mal ab und nur selten seitwärts.
    Und trotzdem zog ich am 31. 12. 1999 meine dicke Daunenjacke an und ging hinaus in die Kälte. Nicht um das neue Jahr zu begrüßen, sondern einfach, um unter Leuten zu sein. Ich war in Berlin. Millionen von Menschen würden heute feiern. Da konnte ich nicht allein auf dem Sofa sitzen. Ich wollte zum Brandenburger Tor. Da war die Party. Da würde ich zuschauen.
    *
    Nach dem Desaster in Brandenburg war

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